LifeVERDE: Herr Rittenau, wie und warum wurden Sie Koch?
Niko Rittenau, Koch: Ich habe mit 15 meine Ausbildung zum Touristikkaufmann an den Kärntner Tourismusschulen in Warmbad Villach begonnen und im Rahmen dessen 4 Jahre Koch- und Ernährungsunterricht erhalten. Mein ursprüngliches Ziel war es damals, in der Hotellerie und Gastronomie Fuß zu fassen, um ein Hotel oder Restaurant erfolgreich leiten zu können. Obwohl ich den Geschmack von einigen Fleischgerichten durchaus mochte, habe ich spätestens im Rahmen des Kochunterrichts begriffen, was es eigentlich heißt, ein Schnitzel oder eine Boulette zu essen und ich habe die Verbindung zwischen dem Tier und der Mahlzeit immer stärker wahrgenommen. Als ich im Rahmen eines meiner zahlreichen Praktika um 8 Uhr morgens ein paar Kilo Tintenfisch ausnehmen und wenig später Haufenweise ganze Hühner zerteilen musste, war für mich klar, dass ich zwar gerne koche, aber Fleisch sowohl in meiner Ernährung als auch in meiner Küche nicht mehr vorkommen wird.
Während meiner Ausbildung hatte ich auch Ernährungslehre und habe dort zum ersten Mal auch über die gesundheitlichen Vorteile einer vollwertigen Ernährung mit viel Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse erfahren. So kam es, dass fortan beide Teilbereiche, Koch- und Ernährungslehre, eine wesentliche Rolle spielten. So habe ich in Kalifornien an der „Matthew Kenney Academy“ weitere Fortbildungen in der pflanzlichen Kulinarik absolviert und 2013 mein Bachelorstudium der Ernährungsberatung begonnen, um mich in Küche und Ernährung weiterzubilden. Zu Beginn meiner Selbstständigkeit lag der Fokus in den Kursen und Bühnenshows auch mehr beim Kochen, mittlerweile ist mein Fokus auf der Ernährungswissenschaft.
Seit wann kochen Sie vegan und wie kam es dazu?
Als ich 2013 nach Berlin gezogen bin, habe ich mich schon recht lange vegetarisch ernährt, empfand vegane Ernährung aber als zu extrem und konnte nicht verstehen, warum man denn keine Milchprodukte und Eier essen sollte. Immerhin wurde mir seit jeher beigebracht, dass diese Lebensmittel gesund sind und die Tiere ja ohnehin Milch geben und Eier legen. Als ich im selben Jahr begonnen habe, beim VEBU (Vegetarierbund e.V.) zu arbeiten, habe ich aber Tag für Tag mehr über die wahren Zustände erfahren und es war für mich eine klare Konsequenz, dass ich mich fortan vegan ernähren möchte. Ehrlich gesagt hatte ich zu dieser Zeit aber große Bedenken, dass das zwar ethisch eine gute Entscheidung ist, aber viele Leute um mich herum waren der Meinung, dass es nicht gesund sein könnte. Da ich nicht nur Dinge glauben oder auf die Meinung anderer vertrauen wollte, habe ich wie gesagt mein Bachelorstudium der Ernährungsberatung begonnen, das ich mittlerweile auch erfolgreich abgeschlossen habe. Heute kenne ich die weltweite wissenschaftliche Literatur zu verschiedenen Ernährungsstilen und kann mit großer Sicherheit sagen, dass eine vegane Ernährung – wenn sie vollwertig und bedarfsgerecht ist – eine gesündere Alternative zu einer herkömmlichen Mischkost darstellt.
Was bedeutet vegan kochen und essen? Was sind die grundlegenden Unterschiede? Worauf muss besonders geachtet werden?
Vegan zu kochen bedeutet einfach ein kleines Umdenken. Die klassische Dreiteilung des Tellers mit Fleisch, Gemüsebeilage und Sättigungsbeilage darf man dann aufbrechen und frisches Gemüse, vollwertige Getreide und schmackhafte Hülsenfrüchte zum Star des Tellers werden lassen. Zusammen mit aromatischen Kräutern und kräftigen Gewürzen in Verbindung mit den richtigen Zubereitungstechniken kann man so kulinarische Highlights kreieren, die gleichzeitig aber auch außerordentlich gesund sind. Wie bei jeder Art des Kochens spielen hochwertige, regionale und saisonale Lebensmittel eine große Rolle. Das Spannende ist, dass ich seit meiner Ernährungsumstellung viel mehr neue Lebensmittel kennengelernt als weggelassen habe. Da es noch nicht viele fundierte Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich der veganen Küche gibt, sind viele Köche allerdings ein bisschen ratlos, wie man aus den pflanzlichen Grundzutaten hervorragende Gerichte kreieren kann. Aus diesem Grund habe ich mit drei von Deutschlands besten veganen Köchen auch im letzten Jahr das „Plant Based Institute“ gegründet. Im Rahmen der berufsbegleitenden, 6-monatigen Weiterbildung zum „Plant Based Chef & Nutritionist“ werden alle Grundlagen im Bereich der pflanzenbetonten Ernährung, Gourmet Rohkost, vegane Patisserie und der neuen pflanzlichen Küche vermitteln. Die Weiterbildung findet in Berlin und München statt und ab 2018 wird es auch vertiefende Aufbaumodule in allen Fachbereichen geben.
Was spricht für die vegane Küche? Es gibt so viele positive Auswirkungen auf unseren Körper, wenn wir uns vegan ernähren. Welche sind es?
Für die vegane Küche sprechen eine Vielzahl an ökologischen, ethischen und gesundheitlichen Aspekten. Um beim Thema Gesundheit zu bleiben: Bereits vor 13 Jahren, im Jahr 2003, hat die weltweit größte Ernährungsgesellschaft der Welt, die „Academy of Nutrition and Dietetics“, anhand der weltweit verfügbaren wissenschaftlichen Studien ihr Positionspapier zu veganer Ernährung veröffentlicht. In diesem umfangreichen Positionspapier zeigt Sie, dass eine vegane Ernährung auf eine Vielzahl chronischen degenerativen Erkrankungen, von koronarer Herzerkrankung, Arteriosklerose, Diabetes Mellitus Typ II, Adipositas und einigen Krebserkrankungen, Vorteile in der Prävention und Therapie bringen kann. Die Ergebnisse der sogenannten „Adventist Health Study 2“ mit über 60.000 Teilnehmern konnte eindrucksvoll zeigen, dass viele Faktoren wie der Blutdruck, die Gesundheit unserer Gefäße, die Insulinsensitivität der Zellen, das Körpergewicht, der Cholesterinspiegel und viele weitere Marker sehr positiv durch eine pflanzliche Ernährung beeinflusst werden. Und auch die erste der zehn Regeln für eine gesunde Ernährung der „Deutschen Gesellschaft für Ernährung“ (DGE) lautet: Man soll überwiegend pflanzliche Lebensmittel wählen, denn diese sind nachhaltig und haben gesundheitsfördernde Auswirkungen. Und eine vollwertige vegane Ernährung enthält am meisten pflanzliche Lebensmittel und reduziert dabei gesundheitlich nachteilige Lebensmittel auf ein Minimum. Allerdings kann ich nicht oft genug betonen, dass es für eine gesunde vegane Ernährung nicht reicht, einfach nur tierische Produkte wegzulassen. Man muss diese durch gesunde Lebensmittelgruppen wie Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Obst, Gemüse, Nüsse und Samen ersetzen. Wenn ich mich gleich ungesund wie zuvor ernähre, dann werde ich auch als Veganer ungesund bleiben. Das erklärt auch einige Studienergebnisse mit Veganern, die weniger vorteilhaft ausgefallen sind. Vegane Schnitzel, Pommes, Chips und Softdrinks sind allesamt rein pflanzlich aber weiterhin ungesund.
Ist es möglich, sich über Jahre ausschließlich vegan zu ernähren? Worauf muss dann geachtet werden?
Es ist nicht nur möglich, sondern eine sehr gute Idee, dies zu tun. Eine gut geplante vegane Ernährung ist für jede Phase des Lebens eine gesunde Alternative und auch Sportler jeder Disziplin profitieren von einer vollwertigen veganen Ernährung. Auch diese beiden Statements sind seit 13 Jahren von der weltweit größten Ernährungsgesellschaft der Welt bekannt und wurden im Jahr 2016 erneut so bestätigt. Man bekommt ausreichend Proteine, Kalzium, Eisen, Jod und alle weiteren Vitalstoffe in Pflanzen. Wie immer muss man sich aber natürlich informieren und wissen, was man tut. Aufgrund unserer modernen Lebensweise finden wir in Pflanzen kaum noch ausreichend Vitamin B12 und so empfehle ich jeder vegan und vegetarisch lebenden Person, Vitamin B12 zu supplementieren. Und auch die meisten Personen über 50 die Fleisch essen, sollten ihren B12-Spiegel kontrollieren und bei Bedarf ergänzen. Denn Vitamin B12 geht bei der Zubereitung von Lebensmittel stark verloren und in fortgeschrittenem Alter ist unsere Aufnahmekapazität mehr und mehr beschränkt.
Vitamin B12 wird übrigens weder von Pflanzen noch von Tieren produziert. Bakterien produzieren Vitamin B12. Ansonsten gilt für Veganer die selbe Empfehlung wie für alle Menschen: Die Jodversorgung ist in Deutschland schlecht und sollte über Meeresalgen abgedeckt werden. Es sollte auf ein gutes Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6Fettsäuren geachtet werden und man sollte genügend Vitamin D tanken, indem man ausreichend an der Sonne ist. Es gibt keinen lebensnotwendigen Inhaltsstoff, den wir nur über den Konsum von tierischen Produkten decken können und die Literatur zeigt uns, dass eine rein pflanzliche Ernährung im Durchschnitt die gesündere Alternative ist.
Wie sieht es in Ihrem Umfeld aus? Haben Sie alle von der veganen Küche überzeugen können?
Ich übe auf niemanden in meinem privaten oder beruflichen Umfeld Druck aus, aber die Fakten sprechen für sich und jeder rational eranlagte Mensch in meinem Umfeld richtet seine Ernährung mittlerweile zumindest überwiegend pflanzlich aus. Vegane Ernährung muss keine „Alles oder Nichts“-Entscheidung sein. Auch ich wurde nicht über Nacht vom Fleischesser zum absoluten Veganer und so verlange ich das auch von Niemanden. Ich verlange aber, dass sich jede Person über die Auswirkungen des eigenen Essverhaltens fundiert informiert und nicht so handelt, als wäre Sie alleine auf diesem Planeten. Wir sind bald 10 Milliarden Menschen auf diesem und unser Gesundheitssystem in Deutschland ist geprägt von chronischen Erkrankungen, die über Jahrzehnte andauern können und dabei ein Vermögen kosten und unsere Gesellschaft und jedes betroffene Individuum belasten. Ich denke, jeder Mensch möchte gesund sein und seinen Kindern eine intakte Welt hinterlassen. Und da ist es, egal ob man 100% vegan isst oder noch ab und zu tierische Produkte konsumiert, unverzichtbar, zumindest die Basis seiner Ernährung auf Pflanzen aufzubauen.
Sie halten Wochenendseminare für Interessierte? Wie sind diese Seminare aufgebaut?
Meine monatlichen Wochenendseminare finden immer Samstag und Sonntag in Berlin statt und haben das Ziel, das nötige Wissen über Ernährung für mehr Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden kompakt zu vermitteln. Mit diesem Wissen können die Teilnehmer zukünftig selbst entscheiden, welche Ernährungstrends sinnvoll sind und welche Lebensmittel man wirklich täglich essen sollte und bei welchen Trends und Produkten es sich einfach nur um gutes Marketing handelt. Gekocht wird bei diesen Seminaren nicht, weil der Fokus auf der Ernährungslehre liegt, aber natürlich sind die Teilnehmer trotzdem während dem Seminar mit vollwertigen gesunden Mahlzeiten, Snacks und Getränken versorgt. Ich veranstalte in diesem Jahr insgesamt 9 Seminare in dieser Reihe und man findet alle Informationen dazu unter: www.nikorittenau.com/seminare
Welche sind die Trends für 2017? Wie wird dieses Jahr vegan gekocht?
Ich denke pflanzliche Ernährung selbst ist der größte Trend für 2017. Es gibt weltweit keine andere Ernährungs- und Lebensweise, die größeren Zuwachs verzeichnen kann und dabei so weitreichende positive Auswirkungen auf so viele Lebensbereiche hat. Innerhalb der veganen Ernährung sehe ich die Themen „Keimen“ und „Fermentieren“ als große Trendsetter, die es uns ermöglichen, Lebensmittel ernährungsphysiologisch noch hochwertiger zu gestalten und so aus einem Dinkelkorn oder einer Karotte ein echtes Super Food machen. Das größte Potential für Innovation sehe ich zum einen darin, dass mehr und mehr klassische Spitzenköche Interesse an veganer Ernährung entwickeln und so ihr umfangreiches Wissen nutzen, um rein pflanzliche Gerichte auf höchstem Niveau zu kreieren. Zum anderen steckt viel Innovationskraft in der Zusammenführung von gesunder und schmackhafter Kost. Denn gesundes Essen muss schmecken und leckeres Essen muss gesund sein. Wenn diese beiden Faktoren stimmen, dann entsteht Innovation. Und genau das ist mein Job.
Zur Person:
Niko Rittenau ist studierter Ernährungsberater mit dem Fokus auf pflanzliche und nachhaltige Ernährung aus Berlin. Er kombiniert seine Fähigkeiten als ausgebildeter Koch mit dem Ernährungswissen seiner akademischen Laufbahn, um Innovationen zu kreieren, bei denen guter Geschmack auf Gesundheitsbewusstsein und nachhaltigen Konsum treffen. Er zeigt in Vorträgen und Seminaren seine Version von bedarfsgerechter Ernährung für eine wachsende Weltbevölkerung und fördert die Achtsamkeit gegenüber hochwertigen Lebensmitteln. Als Ernährungsberater motiviert er zu gesundem, pflanzenbetontem Essverhalten, indem er Fachwissen lebendig und praxisnah vermittelt.