Grüne Wirtschaft

Teil 1: Vom Umbruch zum Aufbruch im deutschen Strommarkt

INTERVIEW | Prokon ist die größte Energiegenossenschaft Deutschlands mit jahrzehntelanger Erfahrung im Bereich Windenergie. In unserer dreiteiligen Interviewreihe sprechen wir über den Wandel im deutschen Strommarkt, über Öko-Energie für alle und die Energiewende.

INTERVIEW | Prokon ist die größte Energiegenossenschaft Deutschlands mit jahrzehntelanger Erfahrung im Bereich Windenergie. In unserer dreiteiligen Interviewreihe sprechen wir über den Wandel im deutschen Strommarkt, über Öko-Energie für alle und die Energiewende.

20.10.2021 | Ein Interview geführt von Anika Dewald | Bild: Prokon

Unser Interviewpartner Achim Vogt hat sich bereits als Teenager mit Umweltschutz und erneuerbaren Energien beschäftigt und ist hier seit vielen Jahren in verschiedenen Unternehmen in leitender Funktion tätig. Seit März 2020 ist er Vertriebskoordinator im Vorstandsreferat der Prokon Regenerative Energien eG. Das Windkraftunternehmen PROKON wurde 2015 in eine Bürger-Energie-Genossenschaft umgewandelt. Im ersten Teil unserer Reihe wollten wir von Achim wissen, wie er die Entwicklung des deutschen Strommarkts einschätzt.

Achim, du hast im Vorgespräch gesagt, dass jetzt die Zeit gekommen ist, den Strommarkt zu revolutionieren. Welche Voraussetzungen für die Energiewende sind jetzt vorhanden, die es vor einigen Jahren noch nicht gab?

Achim Vogt: An der Stelle hilft es, ein wenig auszuholen. Bis 1998 hatte man keine Wahl bezogen auf seinen Energielieferanten: Die Zuständigkeit lag beim Vorortversorger, meist das lokale Stadtwerk oder der Regionalversorger. Diese waren zuständig für die Stromnetze (sind es oft immer noch) und entsprechend auch für die Versorgungssicherheit aller Verbraucher*innen in der Region. Über den Strommix – also wie der Strom erzeugt wurde – sprach man kaum: Größtenteils bekam man Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken. Einen Wettbewerb gab es in einem monopolistischen Markt weder über den Preis noch über die Stromherkunft.

Um die Struktur zu veranschaulichen: Lebte man im Stadtgebiet Hamburgs so wurde man mit Meldung beim Einwohnermeldeamt von der HEW (Vorgänger von Vattenfall) versorgt. Zog man nach Itzehoe, wechselte man automatisch zu den Stadtwerken dort.  

Im April 1998 wurde das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts verabschiedet und die schrittweise Liberalisierung des Marktes eingeleitet. Wichtiges Element war unter anderem die Trennung von Netz und Energievertrieb und damit der ungehinderte Zugang anderer Energieanbieter zum Stromnetz. Man konnte zunehmend seinen Stromanbieter frei wählen, ganz gleich, wo man lebte. Zudem drängten neue Erzeugungsarten, die zuvor keine bedeutende Rolle spielten, auf den Markt (Wind, Wasser). Ökostrom war zu dem Zeitpunkt noch ein absolutes Nischenprodukt, gewann aber zunehmend an Bedeutung. 

Liberalisierung der Energiemärkte

Veranschaulichte Darstellung der Markt-Veränderung durch die Liberalisierung der Energiemärkte (Bild: Next Kraftwerke).

Die Liberalisierung des Strommarktes ist also ein wichtiger Faktor bei der Energiewende. Was hat sich dadurch bereits konkret geändert?

Dank der Liberalisierung des Strommarktes muss man nicht im Besitz der Netze und der Hausanschlüsse sein, um Strom zu handeln. Man muss nicht einmal mehr Kraftwerke betreiben. Strom ist zur Handelsware geworden. Somit steckt hinter den meisten Stromprodukten oft kein Erzeuger, sondern nur ein Zwischenhändler. Für den direkten Einfluss der Konsument*innen auf die Energiewende ist dies von entscheidender Bedeutung, wie wir später sehen werden. Viele Stromhändler betreiben ihr Geschäft ausschließlich virtuell. Das heißt, sie handeln Strommengen an der Börse und vertreiben sie an Endverbraucher*innen oder Geschäftskund*innen. Selbst die großen Energiekonzerne verfügen teilweise über mehrere Vertriebsmarken. Das ist mit einer der Gründe für die teils verwirrende Tarifvielfalt im Land. Hier gibt es Ähnlichkeiten zum Mobilfunkmarkt. Wer weiß schon, dass Congstar eine Vertriebstochter der Telekom ist, oder dass man als Tchibo-Kund*in das Telefonica-Netz nutzt. Und so bleiben auch die tatsächlichen Stromproduzenten oft im Hintergrund und treten nur selten als eigene Marke auf.

Das klingt jetzt aber schon danach, dass der Markt nicht gleichmäßig aufgeteilt ist, sondern die großen Energiekonzerne hier einen starken Marktvorteil genießen.

Dem ist auch so. Nur wenige Stromanbieter haben keine Verbindungen zu den einst monopolistischen Versorgern. Meist sind das die unabhängigen Ökostromanbieter sowie einige digitale Startups, die mehr und mehr auf den Markt drängen. Die meisten Stadtwerke sind mit den „Big 4” (= E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall) über Anteile oder enge Vertragsbeziehungen verbandelt, man kann von Appendixen der einst monopolistischen Strukturen sprechen.  

Wie diese weiterhin den Strom-(übrigens auch den Ökostrom-)Markt beherrschen, lässt sich an einem Vergleich mit der Lebensmittelbranche verstehen: Wenn ich beim Discounter einen Sack Biomöhren kaufe, so wird dieser vermutlich deutlich preisgünstiger sein als ein Sack Biomöhren aus dem Hofladen. Hintergrund: Der Discounter macht einen großen Teil seiner Margen mit konventionellen Produkten und kann darüber die Bio-Produkte subventionieren. Der Hofladen kann da preislich nicht mithalten: Er ist darauf angewiesen, kostendeckend mit den Produkten zu arbeiten, die der Hof erzeugt. Dafür weiß ich allerdings als Konsument*in genau, woher meine Bio-Möhre kommt und meistens auch, wie sie angebaut wurde. 

Und wie viele Kund*innen haben sich auf dem Strommarkt für die Bio-Möhre aus dem Hofladen, sprich für unabhängige (Öko-)Energieversorger entschieden?

Das Problem ist hier, dass – um beim Bild zu bleiben – „die Bio-Möhre vom Hofladen“ aktuell bei nur sehr wenigen Anbietern (Prokon ist einer davon, zu nennen sind auch noch die Bürgerwerke, EWS, Green Planet Energie, Hamburg Energie oder Naturstrom) erhältlich ist. Nur diese haben überhaupt einen Hof und können entsprechend direkt verkaufen. Die anderen Öko-Energieversorger verkaufen zwar auch Bio-Möhren, aber ohne den Erzeugerhof. Sie traden Strom. Der Unterschied zwischen ihnen und den „Big 4“ ist wiederum, dass die „Big 4“ neben dem Biohof in erster Linie konventionelle Höfe haben und billig Möhren produzieren.

Prokon Windrad

Wie die Bio-Möhre auf einem eigenen Bio-Hof wird auf einer Windpark-Anlage wie hier in Schönwalde-Altenkrempe Öko-Strom erzeugt, der von Prokon als unabhängigen Energieerzeuger direkt vertrieben werden kann (Bild: Prokon).

Um hier das Verhältnis nochmal zu verdeutlichen: In Deutschland gab es 2020 etwa 1151 Stromanbieter. Die Zahl derer, die dabei wirklich unabhängig, d.h. weder über Anteile, noch vertraglich oder personell mit den so genannten „Big 4“ verflochten sind, liegt bei: etwa 20. Das Angebot hier ist also noch äußerst überschaubar. Unabhängig davon werden nach wie vor rund 2/3 der Bevölkerung vom Grundversorger beliefert. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nur rund 1/3 der Menschen den Anbieter je gewechselt haben. 

20 von 1151 klingt wirklich nicht viel. Aber haben wir es als Endverbraucher*innen nicht trotzdem in der Hand, diese immer noch monopolistisch anmutenden Strukturen zu durchbrechen?

Die gesamte Energiewende geht zu einem großen Teil auf das bürgerschaftliche Engagement in bestimmten Bevölkerungsgruppen zurück. In den Anfangsjahren musste man Idealist*in sein, um gegen die Marktbedingungen (siehe oben) und die Monopolisten in Erneuerbare Energien zu investieren. Und man musste sich zu Initiativen, Erzeugergemeinschaften oder Energiegenossenschaften zusammenschließen, um gemeinsam stärker zu sein. Um gemeinschaftlich das Kapital aufbringen zu können, um möglichst viele Kraftwerke zur Erzeugung regenerativer Energien ans Netz zu bringen.

Bündelung von Kapital zur Bereitstellung von mehr unabhängig erzeugter, regenerativer Energie im Netz - das ist auch das Ziel, das Prokon als Bürger-Energie-Genossenschaft verfolgt?

Genau, so steht es in der Satzung der Prokon Regenerative Energien eG. Wir machen das als Projektentwickler*innen, als Errichter*innen von Wind- und Photovoltaik-Parks und als Servicebetrieb, damit auch möglichst lange alles betriebsfähig bleibt. Zudem vermarkten wir den von uns erzeugten Strom, sowohl am professionellen Energiemarkt als auch als Prokon Windstrom an klassische Haushaltskunden. Wir bilden damit nahezu die komplette Wertschöpfungskette ab.   

Aber wir können und wollen dabei nicht gewinnmaximierend unterwegs sein, weil das den Herausforderungen einer nachhaltigen Energiewende nicht gerecht würde. Wollten wir maximieren, müssten wir alte Techniken bis zum letzten Tropfen Öl ausquetschen. Das hat aber mit den regenerativen Kraftwerkskonzepten dann überhaupt nichts mehr zu tun. Zugegeben, das erfordert sogenanntes geduldiges Kapital oder besser geduldige Kapitalgeber. Wir müssen alte ökonomische wie technologische Zyklen durchbrechen und langfristig denken – und das ist die CO2-freie Versorgung mit Energie. 

Hier geht es weiter mit unserer Öko-Strom-Interviewreihe mit Prokon: 

Teil 2: Der Weg des Öko-Stroms und die Macht der Verbraucher*innen

Teil 3: Klimaschutz in Deutschland. Was uns noch fehlt für eine CO2-freie Stromversorgung

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Das hat dich interessiert? Dann schau dir auch diesen Beitrag an: Energiewende: Wie Ökostrom an Bedeutung gewann

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