Grüne Wirtschaft

CO2-Steuer versus Zertifikatesystem - Herausforderungen bei der Verringerung von Emissionen

Wie kann eine effektive Verringerung von CO2-Emissionen erreicht werden? Im Interview erklärt uns Franz Josef Radermacher die Hintergründe und Auswirkungen der CO2-Steuer und des Zertifikatesystems.

Wie kann eine effektive Verringerung von CO2-Emissionen erreicht werden? Im Interview erklärt uns Franz Josef Radermacher die Hintergründe und Auswirkungen der CO2-Steuer und des Zertifikatesystems.

04.06.2019 - Ein Beitrag von Ella Poppensieker

LifeVERDE: Was sind die Vorteile und Nachteile einer CO2-Steuer?

FRANZ JOSEF RADERMACHER (Professor und Botschafter für digitale Transformation an der Zeppelin Universität Friedrichshafen): Eine CO2-Steuer hat den generellen ökonomischen Effekt, dass in wirtschaftlichen Abläufen solche zukünftigen Prozesse bevorzugt werden, die weniger CO2 erzeugen. Insgesamt werden die CO2-Emissionen daher zurückgehen. Allerdings kann man im Fall der Automobile beobachten, dass Steuern schon hoch sein müssen, um massive Wirkungen im Verhalten zu erzeugen. Dabei liegen die diskutierten CO2-Steuern weit unterhalb der Steuern, die heute ohnehin bereits auf Benzin bezahlt werden müssen. Wenn man den Weg sehr hoher Steuern geht, werden primär finanziell schlecht gestellte Bürger daran gehindert, ihr Leben wie bisher zu leben. Das kann den Zusammenhalt der Gesellschaft bedrohen. Werden die Steuern zurückverteilt, etwa in pro Kopf gleichem Umfang, dann geht zwar dieser sozial negative Effekt verloren, gleichzeitig ist aber auch die Lenkungswirkung bezüglich CO2 sehr viel geringer.

Was sind die Vorteile und Nachteile eines Zertifikatesystems? Bei einem Zertifikatesystem wird bezüglich des angestrebten Absenkens der CO2-Emissionen das vorgegebene Ziel präzise erreicht - und zwar zu vergleichsweise geringen Kosten, wenn man die umgesetzte Lösung mit Alternativen vergleicht. So ist das auch beim europäischen Zertifikatesystem. Und deshalb hat man auch bis zur Klimakonferenz in Kopenhagen in 2009 international immer in Richtung eines Zertifikatesystems verhandelt. Gescheitert ist dieser Versuch letztlich daran, dass man sich zwischen den Staaten der Welt nicht über die (primäre) Verteilung der Emissionsrechte verständigen konnte. Diese Verteilung war insofern bedeutsam, als dass Länder, die ihre Zertifikate nicht voll nutzen müssen, diese an andere Länder verkaufen können, während Länder, die mehr emittieren, als sie Zertifikate haben, Zertifikate kaufen müssen. Das europäische Zertifikatesystem zeigt, dass dieser Zukauf oftmals sogar sehr preiswert ist: Die europäischen Zertifikate haben teilweise nur 5 Euro pro Tonne CO2 gekostet. Obwohl viele Beobachter und Umweltschützer damit sehr unzufrieden waren, hat sich herausgestellt, dass die Reduktionsziele der EU in diesem Bereich immer präzise und zu hundert Prozent erreicht wurden und dies sogar preiswert. Man hätte im Nachhinein betrachtet sehr viel mehr Ambitionen haben können, also sehr viel weiter gehende Reduktionen der CO2-Emissionen anstreben können. Das hätte das System dann auch geleistet. Der CO2 Preis wäre höher gewesen. Aber noch einmal: Die Ziele, die wir uns gesetzt haben, haben wir präzise erreicht, und das zu vergleichsweise niedrigen Kosten.

Der IPCC Report empfiehlt eine “Carbon Tax”, also eine CO2 Steuer. Wie stehen Sie dazu? IPCC hat früher immer für cap and trade-Lösungen argumentiert. Seit Kopenhagen weiß man, dass sich die Staaten darauf nicht verständigen können. Deshalb wird jetzt eine „Carbon Tax“ vorgeschlagen. Es ist die zweitbeste Lösung, aber natürlich immer noch besser als gar nichts. Ein Problem wird sein, dass die verschiedenen Länder in Bezug auf eine „Carbon-Tax“ sehr unterschiedliche Vorstellungen haben werden. D.h., dass ein kohärentes internationales Instrument nicht entstehen wird. Und natürlich werden Unternehmen sich gegebenenfalls überlegen, wo sie produzieren, wenn die Carbon-Steuern in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ausfallen sollten.

Was für wirtschaftliche Auswirkungen bestehen durch eine CO2-Steuer bzw. ein Zertifikatesystem? Die generellen wirtschaftlichen Auswirkungen bestehen darin, dass über eine CO2-Steuer bzw. ein Zertifikatesystem CO2-Emissionen teurer werden. In der Tendenz wird das zu weniger CO2-Emissionen führen. Bei einem Zertifikatesystem wird die Größe der angestrebten Reduktion fixiert. Die Reduktion wird dann präzise erreicht. Was es kostet, ergibt sich über den Markt und die Versteigerung der Zertifikate. Dort wird auch geklärt, in welchen Teilen der Ökonomie die entsprechen Einsparungen erfolgen. Bei einer CO2-Steuer kann es sein, dass man im Wesentlichen gar keine Reduktion der CO2-Emissionen erreicht, wenn nämlich die entsprechenden ökonomischen Prozesse, wie z.B. das Fahren eines Automobils, für Menschen oder Unternehmen so interessant sind, dass diese ihr Verhalten trotz der Steuer nicht ändern. Ein weiteres Problem der Steuer ist, dass sie alle Sektoren der Ökonomie in relativ gleicher Weise trifft. Also solche Sektoren, in denen man CO2-Emissionen leicht einsparen kann und solche, in denen man das nicht kann. Wenn überall dieselbe CO2-Steuer zu zahlen ist, ist das in der Tendenz ineffizient und unnötig teuer. D.h. auch Folgendes: für das eingesetzte Geld bekommt man weniger Reduktion, als wenn man wie bei einem Zertifikatesystem die ökonomisch günstigsten Bereiche der Ökonomie bzw. des Lebens für die Reduktionen aussucht.

Können große Unternehmen eine CO2-Steuer bzw. ein Zertifikatesystem umgehen? Wie lässt sich dies vermeiden, da sie Hauptverursacher des CO2-Ausstoßes sind? Große Unternehmen, insbesondere im Bereich der Energieerzeugung und der Schwerindustrie, sind die Hauptverursacher des CO2-Ausstoßes. Aber sie machen das nicht, weil ihnen das Spaß macht, sondern weil das mit der Erstellung ihrer Produkte verbunden ist. Die Konsumenten, die Nutzer sind die eigentlichen Verursacher der CO2-Emissionen. Denn für sie findet das alles statt. Klar ist deshalb auch, dass im Letzten die Konsumenten die Kosten der CO2-Steuer, bzw. eines Zertifikatesystems tragen müssen. Je teurer es wird, CO2 zu emittieren, um so teuer werden in der Tendenz die hergestellten Güter und Dienstleistungen und das müssen die Kunden bezahlen.

Die Gefahr wird sein, dass Firmen ihre Produktionsstätten verlegen, wenn die CO2-Steuer in anderen Ländern deutlich niedriger ist beziehungsweise kein Zertifikatesystem existiert oder die Kosten deutlich geringer sind, weil größere Volumina von Emissionen zulässig sind. Das muss nicht notwendigerweise die Verlegung von existierenden Produktionsstätten bedeuten. Es kann aber dazu führen, dass neue Produktionsstätten tendenziell in solchen Ländern aufgebaut werden, in denen die Belastung durch CO2-Steuer oder Zertifikatesysteme vergleichsweise niedrig ist. Man nennt das „carbon leakage“. Man kann „carbon leakage“ durch internationale Angleichung der Belastungen verhindern. Bisher ist das allerdings nicht gelungen. Die Interessen der Staaten sind viel zu unterschiedlich, um zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Man kann in der Tendenz alternativ versuchen, Grenzausgleichsabgaben zu nutzen, um Vergleichbarkeit herzustellen. Hier drohen aber immer Konflikte mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Grenzausgleichsabgaben sind auf jeden Fall ein schwieriges Thema. Innerhalb der EU geht man bei der Formulierung von Pflichten von Unternehmen im Kontext von „carbon leakage“ so vor, dass man von Seiten der Administration feststellt, in wieweit Unternehmen einem großen Außendruck in Richtung „carbon leakage“ ausgesetzt sind. In solchen Fällen werden den entsprechenden Unternehmen beispielsweise EU-Zertifikate in einem bestimmten Umfang kostenlos zur Verfügung gestellt. Natürlich ist klar, dass dann die in dem cap und trade-System anvisierte Gesamtreduktion nicht geleistet wird. Alternativ müssen die entsprechenden Anforderungen auf die übrigen Unternehmen und andere Akteure umgelegt werden. Bei einer CO2-Steuer wird man mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Und zwar immer dann, wenn in anderen Staaten, in denen Konkurrenzunternehmen operieren, die CO2-Steuer signifikant niedriger sein sollte.

Wie können Vorschriften für eine CO2-Reduzierung auf globaler Ebene umgesetzt werden? Wie bereits ausgeführt, geht es bei diesen Themen um Abstimmungen auf der weltweiten Ebene. Im Bereich des Klimas ist dies in der Folge von Kyoto in langjährigen Verhandlungen letztlich nicht gelungen. In Kopenhagen haben der US-Präsident und der chinesische Ministerpräsident entschieden, dass man sich in dieser Frage nicht einigen können wird. Stattdessen wurde ein anderer Weg gewählt, bei dem von vorne herein klar war, dass man mit diesem Weg das 2°Grad-Ziel nicht wird erreichen können. Man ist zu freiwilligen Zusagen der Staaten übergegangen, die aber nicht sanktionsbewährt sind, die rechtlich nicht verbindlich sind, für die es teilweise keine Budgets gibt. Dies gilt insbesondere da, wo Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Zusagen an entsprechende Geldzuflüsse aus der reichen Welt konditioniert haben. Aus all diesen Gründen werden die bisherigen Zusagen der Staaten nicht zur Umsetzung des 2°Grad-Ziels führen, von 1,5°Grad erst gar nicht zu sprechen. Das war auch so vorherzusehen. Im Übrigen ist auch nicht zu sehen, wie alternativ CO2-Steuern Entsprechendes bewirken sollen.

Gibt es CO2-Kompensationsprojekte, die auf internationaler Ebene nachhaltig etwas bewirken? Ja, es gibt solche Kompensationsprojekte. Und zwar insbesondere auch solche, die zusätzlich positive Eigenschaften für die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bewirken. So führt die Förderung von Solarkochern dazu, dass in manchen tropischen Ländern die unschöne Praxis aufhört, Bäume zu fällen, um daraus Holzkohle für Kochstellen herzustellen. Oder auch die Praxis, Altholz zu suchen und zu verbrennen, was sofort CO2 freisetzt. Es kommt hinzu, dass die Befreiung von der dauernden Holzsuche den Frauen mehr nutzbare Zeit bringt und ihre Lebensqualität verbessern kann. Auch haben die neuen Öfen positive Gesundheitswirkungen im Vergleich zur Nutzung der Holzkohle oder von Restholz, insbesondere was Atemwegserkrankungen anbelangt. Sehr interessante Projekte betreffen auch großflächige Aufforstungen. Sie entziehen der Atmosphäre CO2, sind also vom Typ Negativemissionen. Wir brauchen sehr viel Negativemissionen, wenn wir Zeit gewinnen wollen, um das Klimaproblem noch zu lösen und das Überschreiten sogenannter „tipping points“ zu vermeiden. Welche großen Potenziale es gibt, zeigt die kürzlich in den Medien zu lesende Erklärung des Industrieunternehmens Robert Bosch, ein Mitglied der „Allianz für Entwicklung und Klima“, bereits ab dem Jahr 2020 klimaneutral zu operieren. Dies wesentlich unter Nutzung von Kompensationsprojekten. Bosch kalkuliert Kosten von einer Milliarde pro Jahr, um seine Klimaziele zu erreichen. Kompensation ist dabei kostenmäßig ein kleinerer Teil.

Sollte die internationale Gemeinschaft eher eine CO2-Kompensation oder eine CO2-Verringerung anstreben? Die internationale Gemeinschaft muss CO2-Verringerung anstreben. Noch präziser, sie muss insbesondere verhindern, dass die absehbaren großen CO2-Emissionszuwächse, die mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Afrika, auf dem indischen Subkontinent und weiteren Entwicklungs- und Schwellenländern verbunden sein können, nicht stattfinden. Die hier potentiell drohenden Größenordnungen an Zusatzemissionen machen ein Mehrfaches der heutigen Gesamtemissionen innerhalb der EU aus. Es ist im Moment nicht zu sehen, wie die internationale Gemeinschaft an dieser Stelle die erforderlichen CO2-Verringerungen erreichen kann. Am ehesten wird das noch mit Kompensation gelingen, weil der Privatsektor und Unternehmen oft nicht nur die notwendigen Maßnahmen finanzieren, sondern sich oft auch noch persönlich darum kümmern, dass die von ihren geförderten Umsetzungsprojekte erfolgreich sind. Diese Projekte fördern dann die Entwicklung und mindern weitere Belastungen auf der Klimaseite. Insofern sind CO2-Kompensation und CO2-Verringerung nicht konträre Programme. Oft geht es darum, dass wir weniger in der reichen Welt direkt bei uns verringern, sondern durch kluge Kompensation in Entwicklungs- und Schwellenländern für dasselbe Geld eine vielfache Verringerung von CO2-Emissionen, im Verhältnis zu den Effekten bei uns, erreichen. Allerdings nicht gegenüber dem Status Quo, sondern gegenüber dem laufend erfolgenden Zuwachs in eben diesen Ländern. Ziel muss es sein, diesen Zuwachs auf Null zu halten, denn der drohende Zuwachs beträgt im Gesamtvolumen ein Vielfaches der europäischen Emissionen.

Literaturhinweise:

  1. Radermacher, F. J. (2018): Der Milliarden-Joker – Freiwillige Klimaneutralität und das 2 oC-Ziel, Murmann Verlag
  2. Radermacher, F. J.: Die internationale Energie- und Klimakrise überwinden – Methanolökonomie und Bodenverbesserung schließen den Kohlenstoffzyklus1; abrufbar unter www.fawn-ulm.de

1Erscheint in: Radermacher, F. J., Rüttgers, J., u. a.: Europa fit machen für die Zukunft, Stiftung Senat der Wirtschaft (Hrsg.), Books on Demand, 2019

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