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Die Digitalisierung der Energiewende

Die Digitalisierung der Energiewende ist im vollen Gange. Sie wird den Wohnkomfort steigern und durch automatisierte Prozesse und vielfältige Dienstleistungen im Smart Home die Lebensqualität deutlich verbessern. Ein Interview mit Dr. Jan Witt, Geschäftsführer der HEA und Mijo Maric, Leiter der Geschäftsstelle Smart Living des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.

Die Digitalisierung der Energiewende ist im vollen Gange. Sie wird den Wohnkomfort steigern und durch automatisierte Prozesse und vielfältige Dienstleistungen im Smart Home die Lebensqualität deutlich verbessern. Ein Interview mit Dr. Jan Witt, Geschäftsführer der HEA und Mijo Maric, Leiter der Geschäftsstelle Smart Living des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.

07.09.2018 - Das Interview führte Marcus Noack

LifeVERDE: Herr Dr. Witt, was bedeutet die Digitalisierung der Energiewende für den privaten Verbraucher, was wird sich technologisch alles in Zukunft ändern?

Dr. Jan Witt: Die Digitalisierung wird nicht nur ein schnelleres Internet bringen, sondern den Wohnkomfort steigern und durch automatisierte Prozesse und vielfältige Dienstleistungen im Smart Home die Lebensqualität deutlich verbessern. Spätestens, wenn die Wohnung in den nächsten Jahren einen digitalen Stromzähler bekommt, ist die Verknüpfung zur Energiewende geschaffen. Dann können Energieverbrauch und Kosten besser kontrolliert und optimiert werden. Denn mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien müssen Erzeugung- und Verbrauch besser aufeinander abgestimmt werden. Bis 2032 werden deshalb in jedem Haushalt die analogen Ferraris-Zähler durch moderne Messeinrichtungen oder intelligente Messsysteme ersetzt. Das wird als „Smart Meter Rollout“ bezeichnet und hat in vielen Ländern Europas bereits stattgefunden. Laut Monitoringbericht 2017 der Bundesnetzagentur werden an ca. 50.000 Zählpunkten in Deutschland moderne Messeinrichtungen verwendet, somit ist bei 40 Mio. Haushalten noch einiges zu tun. Um die Energiekunden zu Hause aktiv aufzuklären, hat die HEA eine aktuelle Informationsbroschüre erstellt.

Bild: Dr. Jan Witt, Geschäftsführer der HEA

Wie und wo lässt sich im privaten Haushalt Energie und Geld sparen?

Dr. Witt: Mit effizienten Leuchtmitteln (z.B. LED) kann im Vergleich zu Niedervolt-Halogenlampen bis zu 80 Prozent mehr Licht bei gleicher elektrischer Leistungsaufnahme realisiert werden. Auch die eigene Stromerzeugung mittels Photovoltaikanlagen wird immer günstiger, in Kombination mit einem Batteriespeicher kann der Anteil des selbstverbrauchten Stromes auf einem hohen Niveau gehalten werden. Bereits bei der Planung der Elektroinstallation sollten entsprechende Ausstattungsgrade stets berücksichtigt werden, um teure Nachbesserungen zu vermeiden. Das Stichwort heißt „smart ready“ und bezeichnet die Vorbereitung eines Gebäudes, mit Bewohner und Netz zu interagieren. Auch moderne Heizungsanlagen wie Wärmepumpen und Haushaltgroßgeräte sind heute in der Lage, sich im Smart Home den Bedürfnissen der Bewohner anzupassen und energieoptimiert betrieben zu werden. Daher beteiligt sich die HEA aktiv an der Wirtschaftsinitiative Smart Living, die zahlreiche Hersteller von smarten Anwendungen und deren Infrastrukturen miteinander vernetzt. Denn man kann gleichzeitig Komfort gewinnen und Energie sowie Geld sparen.

Wie sehr sollte man beim Kauf von elektrischen Haushaltsgeräten auf die Energielabel achten?

Dr. Witt: Das Energielabel mit der Verbrauchsklassen-Einteilung von A bis G wurde bereits in den 1990er Jahren in ganz Europa eingeführt, um direkt beim Kauf über den Energieverbrauch von elektrischen Haushaltsgeräten zu informieren und Geräte einfach vergleichbar zu machen. Das hat auch hervorragend funktioniert. Nur ist es mittlerweile durch den technischen Fortschritt vom eigenen Erfolg überrollt worden, sodass die Aussagekraft bei den meisten Geräten stark gelitten hat. Eine A-Klasse ist durch die Erweiterung um Plus-Klassen längst nicht mehr die beste Klasse und Verbraucher verstehen das oft nicht. Die Neufassung ist bereits beschlossen, aber die ersten Geräte mit dem neuen Energielabel werden frühestens Ende 2019 im Handel erhältlich sein.

Bis dahin gibt es einiges zu beachten: Wer Wert legt auf ein besonders effizientes Gerät, sollte immer die höchste Energieeffizienzklasse wählen – meist ist das A+++. Es ist schwer zu verstehen, dass z.B. A++ bei Kühl- und Gefriergeräten, Waschmaschinen und Geschirrspülern nur noch Mittelmaß ist. Darüber hinaus gibt das Label aber weitere Informationen, so ist etwa die Geräuschentwicklung besonders wichtig bei einem Geschirrspüler, der in eine offene Küche eingebaut werden soll, oder für Allergiker das Staubrückhaltevermögen bei Staubsaugern. Allerdings verstecken sich diese Informationen hinter Symbolen, da die Energielabel sprachneutral gestaltet sind. Die HEA-Fachgemeinschaft hat deshalb alles Wissenswerte zu den Labeln aktuell zusammengefasst: Unsere neue Broschüre „Energielabel“ hilft, sich im „Label-Dschungel“ zurechtzufinden und vernünftige Kaufentscheidungen treffen zu können.

Wie kann man den Stromverbrauch von Kühlschrank, Kaffeemaschine und Co. im Auge behalten?
Dr. Witt: Ein zu hoher Stromverbrauch beispielsweise eines alten Kühlschranks lässt sich im einfachsten Fall mit einem Strommessgerät identifizieren, das oft auch bei Energieversorgern ausgeliehen werden kann. Mittels modernen Smart-Home-Technologien lassen sich die Verbräuche einzelner Geräte aber auch auf dem Handy oder Tablet visualisieren. Ein Beispiel sind „Smart Plugs“ (intelligente Stecker), die den Stromverbrauch gerätescharf erfassen und direkt auf das Smartphone übertragen. Das ist bei vielen Geräten natürlich umständlich. Eine Alternative bieten Sensoren, die direkt in die Elektroinstallation integriert werden können. Die modernen Messeinrichtungen bieten mit zusätzlicher Technik die Möglichkeit, den aktuellen Stromverbrauch auf dem Tablet oder Smartphone zu visualisieren.
Ist ein Haushaltsgerät über zehn Jahre alt, macht es auf jeden Fall Sinn, einen Austausch zu prüfen. Das gilt besonders für Wäschetrockner und Kühl- und Gefriergeräte. Aber auch „Kleinvieh macht Mist“: Geräte, die sich automatisch abschalten, sind meist besonders effizient, beispielsweise der elektrische Wasserkocher oder die Mikrowelle zum Aufwärmen von kleinen Speisemengen. Bei modernen Kaffeemaschinen schaltet sich die Warmhalteplatte spätestens nach 30 Minuten ab – das schreibt die europäische Ökodesign-Verordnung vor. Wer Kaffee länger warmhalten will, kann sich mit einer Isolierkanne behelfen.
[Die passenden Broschüren der HEA können über www.hea.de/shop bezogen werden. Online-Tipps für jeden Haushaltsbereich gibt es unter www.energietipps.hea.de]

Herr Maric, „Smart Living“ ist ein neues Mode-Wort. Was verbirgt sich hinter dieser Begrifflichkeit?

Mijo Maric: Unter „Smart Home“ versteht man üblicherweise ein informations- und sensortechnisch ausgerüstetes, in sich selbst und nach außen vernetztes Zuhause. In der Regel gehören automatisch gesteuerte Heizungen, Lüftungen, Türen, Fenster, Markisen, Jalousien und Lampen dazu, die manuell über mobile Geräte oder per Sprachassistenten (oder Gesten) gesteuert werden können.
Der inzwischen gängigere Begriff „Smart Living“, den auch die Wirtschaftsinitiative Smart Living gewählt hat, geht in seinem Verständnis weiter. Er steht für den Umgang mit digitaler Technik, die die Vernetzung intelligenter Komponenten, Geräte und Funktionen in der weiteren bzw. gesamten Lebensumgebung des Konsumenten nutzt, um vielfältige Anwendungen und Dienste bereitzustellen, die sein Leben reicher, sicherer, ressourcenschonender, komfortabler und unterhaltsamer macht. „Smart Living“ ist also mehr als ein intelligent vernetztes Zuhause, für das der Begriff „Smart Home“ üblicherweise steht.

Smart Living bietet den Menschen – unter Nutzung Künstlicher Intelligenz – Sicherheit, Komfort und Assistenz bei der Bewältigung ihres Alltags und zeigt nachdrücklich die zunehmende Verschmelzung der unterschiedlichen Domänen. Smart Living fokussiert sich mit individuellen Diensten und Produkten auf den Menschen und schafft Nutzen in allen Anwendungsbereichen des Alltags in den jeweiligen Lebensphasen.

Mijo Maric ist Leiter der Geschäftsstelle Smart Living des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Die Geschäftsstelle Smart Living unterstützt die Wirtschaftsinitiative Smart Living. 

 

Was verbessert sich für den Verbraucher durch Smart Living?

Maric: Smart Living lässt Menschen länger selbstbestimmt im eigenen Zuhause leben: Smarte Assistenten kümmern sich um die Erinnerung an Medikamente und ausreichendes Trinken, schalten das vergessene Bügeleisen oder den vergessenen Herd aus, ein Nachtlicht weist sicher den Weg ins Bad, absenkbare Küchenschränke ermöglichen das Kochen im Rollstuhl und im Fall der Fälle hilft die Notfalltaste des Pflegedienstes.
Smart Living schützt Sie vor Einbruch und Schäden durch Feuer, Wasser oder Unwetter. Vernetzte Rauchmelder rufen automatisch die Feuerwehr, intelligente Zugangssysteme sorgen für sicheres und komfortables Wohnen. Kameraüberwachung, Bewegungsmelder, Fenster- und Türsicherungen sowie Anwesenheitssimulationen halten Einbrecher fern – und können Ihnen einen günstigeren Versicherungstarif für Hausrat und Gebäude bescheren. Smart Living spart Energie. Denn Heizung, Lüftung, Beleuchtung und elektrische Geräte werden so gesteuert, dass sie nur bei tatsächlichem Bedarf Energie verbrauchen. Smart Living verknüpft Smart Home mit smarter Mobilität. Sobald sich Ihr Auto Ihrem Zuhause nähert, startet automatisch das Wohlfühlszenario aus Heizung und Beleuchtung. Unterwegs im Auto lässt sich die Paketannahme per Sprachsteuerung regeln. Und wenn morgens die Autobahn zur Arbeit gesperrt ist, informiert Sie der digitale Spiegel im Bad darüber.
Das sind nur einige Beispiele von Nutzenaspekten für Verbraucher.

Sicherlich ist der Umstieg auf Smart Living auch mit einigen Anschaffungskosten für neue Geräte verbunden. Welche Tipps haben Sie für einen moderaten und kostenschonenden Umstieg von offline zu online?

Maric: Das Angebots-Spektrum der verschiedenen Anbieter von Smart-Home/Living-Lösungen ist sehr breit und bietet für alle Bedarfe und Einsatzfelder bzw. Kundensegmente etwas: von der Mietwohnung über das „klassische“ Einfamilien- und Mehrfamilien-Haus, gewerbliche Immobilien und luxuriöse Bauten bis hin zu Lösungen für komplette Gebäude-Komplexe und Siedlungen. Im Falle von Neubau-Projekten und umfangreicheren Modernisierungen bieten sich etwa kabelgebundene Lösungen an, da hier ohne nennenswerten zusätzlichen (finanziellen) Aufwand mit der Elektroverkabelung auch gleich die Datenleitungen für das intelligente Haus verlegt werden können. Dabei kann auch das vorhandene Stromnetz für die Datenkommunikation zwischen den verschiedenen Komponenten genutzt werden. Für die Mietwohnung, wo die Smart-Living-Lösung nach einigen Jahren möglicherweise wieder mitgenommen werden soll, greifen Kunden oft zu den etwas kostengünstigeren, funkbasierten Lösungen bzw. „Plug-and-play“-Lösungen. Die Kunden können mit einer ersten Basis-Ausstattung beginnen, die bereits für einen unteren dreistelligen Euro-Bereich zu haben ist, und ihr smartes Haus stufenweise ausbauen. Dies können zum Beispiel einige intelligente Heizungsregler für das Energiemanagement, Kameras und Schließ-/Bewegungssensoren für die Sicherheit des Heimes sein oder Komponenten, die das Wohnen komfortabler und einfacher machen. Mit Smart-Living-Lösungen kann man bis zu 30 Prozent Energiekosten einsparen, womit sich die Anschaffungskosten auch kurz- bis mittelfristig rentieren können. Zudem sind Sicherheitslösungen deutlich günstiger als herkömmliche Alarmsysteme. Ein „kostenschonender Umstieg“ heißt aus unserer Sicht jedoch auch, auf qualitative und sichere Lösungen zu setzen. Anbieter aus Deutschland haben viele Jahre Erfahrung, investieren viel in die IT-Sicherheit und sind hier international führend.

Die Geschäftsstelle Smart Living des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie hat einen SmartLiving2Market-Sachstandbericht veröffentlicht. Was genau steht in diesem Bericht geschrieben?

Maric: Ein wichtiges Ziel der Geschäftsstelle Smart Living ist die Transparenzerhöhung hinsichtlich des Standes in den Smart-Living-Anwendungen. Entsprechend soll der künftig regelmäßig erscheinende SmartLiving2Market-Sachstandbericht eine kontinuierliche Berichterstattung zur innovativen Entwicklung von Anwendungen im Bereich Smart Living in Deutschland vorlegen. Der erste Sachstandbericht wurde durch die Geschäftsstelle Smart Living in Zusammenarbeit mit dem iit (Institut für Innovation und Technik in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH) erstellt. Im diesem Bericht wurden die Ansätze zur Digitalisierung des privaten Lebensraums vorgestellt.

Geben Sie uns einen Ausblick in die Zukunft. Wo kann es mit Smart Living noch hingehen?

Maric: Das Smart Home wird perspektivisch zum digitalen Partner, der die Bewohner vorausschauend bei der Bewältigung des Alltags unterstützt. Im Gegensatz zu heutigen Systemen ist ein zukünftiges Smart Home ein Multinutzersystem, das einzelne Bewohner zuverlässig erkennt und somit auf individuelle, vorkonfigurierte und gelernte Vorlieben, Muster und Gewohnheiten reagieren kann. Dabei passt sich ein Smart Home durch Selbstlernfunktionalitäten stetig an die sich ändernden Lebensumstände der Bewohner an und führt Steuerungs-, Überwachungs- und Assistenzaufgaben selbstständig, intelligent, adaptiv und vorausschauend aus. Um dies realisieren zu können, müssen KI-Ansätze genutzt werden, um aus den Daten Nutzerverhalten abzuleiten und unter Einbeziehung von sich ändernden Lebensgewohnheiten vorausschauend reagieren zu können.

Im Anwendungsfall Sicherheit wird in Zukunft KI prüfen, welcher Zustand im Gebäude, im Haus oder in der Wohnung tatsächlich im Alarmfall vorliegt. Dabei wertet KI die Informationen der Sensordetektionen aus, bringt diese in eine zugehörige zeitliche Abfolge und ermittelt daraus das angepasste Szenario in der Alarmbehandlung. Bei einem Alarm durch einen Rauchmelder zum Beispiel werden die Bewegungsmelder der Wohnung ausgewertet: In welchem Raum wurde der Alarm erfasst? Wann und wo wurde das letzte Mal eine Person detektiert? Alle Fluchtwege werden entsprechend beleuchtet, alle Jalousien hochgefahren und alle Feuerquellen (Herd, Heizung etc.) ausgeschaltet. Gerade die intelligente Verknüpfung smarter Sensoren und Aktoren ermöglichen über KI vielfältige und weitgefächerte Anwendungen in der Sicherheitstechnologie.
KI optimiert beispielsweise durch das selbstlernende Energiemanagement der Zukunft im Smart Home ständig Erzeugung, Verbrauch, Netzeinspeisung, Netzbezug und Stromspeicherung, sodass dies immer zu den geringsten Kosten bei maximaler CO2-Einsparung erfolgt. Kritische Netzsituationen, beispielsweise eine drohende Überlastung, werden über Steuerkommandos des Netzbetreibers direkt an den Energiemanager signalisiert. Dieser kennt alle erlernten Nutzer-, Verbrauchs- und Erzeugungsprofile, dynamische Strompreise oder auch anstehende Mobilitätsanforderungen und setzt alle Vorgaben ohne jeglichen Komfortverlust um.

Die Vielzahl der Sensoren und Aktoren, eingebaut in die smarten Gebäude, ermöglicht auf Basis von KI-Verknüpfungen auch in Bezug auf Komfort neue Optionen. Angepasst an die Lebenssituation lassen sich übergeordnete Verknüpfungen zu den gesamten Abläufen in der Umgebungssteuerung wie Jalousien, Beleuchtung und Raumtemperaturen einrichten, die individuell zur tatsächlichen persönlichen Szenensteuerung genutzt werden können. KI ermittelt das jeweilige Vorzugsszenario dabei aus individuellen Vorgaben wie zum Beispiel Urlaub oder Arbeitstag sowie jahreszeitlichen und klimatischen Parametern.

Zukünftige Smart Homes werden Multinutzersysteme sein, die sich vorausschauend, intelligent und selbstständig an die sich ändernden, individuellen Lebensumstände der Nutzer anpassen, die leicht zu bedienen sind, die sich im Lebensumfeld ihrer Nutzer nicht exponieren, die sicher funktionieren, sicher bedienbar sind und die Privatsphäre ihrer Nutzer zuverlässig schützen.




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