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„Mit dem Begriff Gender-Gesundheit möchten wir den gesamten Bereich einer geschlechtsspezifischen Gesundheitsversorgung beschreiben.“

Im Interview mit Dr. Martina Kloepfer, Präsidentin und Organisatorin des 3. BundesKongress Gender-Gesundheit, der am 21. und 22. Mai 2015 in Berlin stattfinden wird.

Im Interview mit Dr. Martina Kloepfer, Präsidentin und Organisatorin des 3. BundesKongress Gender-Gesundheit, der am 21. und 22. Mai 2015 in Berlin stattfinden wird.

04.03.2015

Umwelthauptstadt.de: Was muss man sich unter dem Begriff Gender-Gesundheit vorstellen?

DR. MARTINA KLOEPFER: Mit dem Begriff Gender-Gesundheit möchten wir den gesamten Bereich einer geschlechtsspezifischen Gesundheitsversorgung beschreiben. Bislang hat sich die Medizin am männlichen Körper orientiert – außer in der Gynäkologie natürlich. Die meisten Arzneimittel, die seit langem am Markt sind, sind an männlichen Versuchstieren und später an männlichen Probanden getestet. Männer und Frauen sind aber unterschiedlich. So einfach und so kompliziert.  Es gibt biologische Unterschiede, die im Englischen mit dem Begriff Sex zusammengefasst werden, was das biologische Geschlecht meint. Das psychosoziale Geschlecht, im Englischen mit Gender bezeichnet, beschreibt die Sozialisation, die Rolle die frau oder man in der Gesellschaft einnehmen und damit auch in der Selbstwahrnehmung. Beide Faktoren können bei bestimmten Krankheitsbildern eine erhebliche Rolle spielen, aber auch bei bestimmten Medikamenten. Eine weibliche Leber baut bestimmte Wirkstoffe sehr viel langsamer ab, als eine männliche Leber. Eine alleinige Korrelation mit der Dosierung und dem Gewicht reicht hier nicht. Oder ein anderes Beispiel: noch immer wird z.B. der Herzinfarkt überwiegend als reine Männerkrankheit betrachtet, was dazu führt, dass bei Frauen ein Infarkt häufig zu spät diagnostiziert wird; denn zum einen können sich die körperlichen Symptome von den als typisch bezeichneten männlichen deutlich unterscheiden und zum anderen, fällt es den Frauen selbst schwer, bei Übelkeit und Schwindel auch einen Herzinfarkt als Ursache in Erwägung zu ziehen. Das trifft auch für viele behandelnde Ärzte und Ärztinnen zu. Die biologischen, hormonellen Gegebenheiten können mit der gesellschaftlich geprägten Erwartungshaltung eine sehr unglückliche Allianz eingehen. Das Risiko am ersten Herzinfarkt zu versterben ist für Frauen also deutlich höher. Umgekehrt sind Männer im Bereich der psychischen Erkrankungen, z.B. bei Depressionen deutlich unterversorgt. Auch hier unterscheiden sich die Symptome, die sich eher am weiblichen Krankheitsbild orientieren. Eine psychische Störung oder gar Depression ist bei Männern gesellschaftlich immer noch stark tabuisiert – auf der Seite der Betroffenen, aber auch auf der Seite der Ärzte, die schließlich die Diagnose stellen sollen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Kongress zum Thema Gendergesundheit bzw. Gendermedizin ins Leben zu rufen?

Der Ursprung liegt eigentlich in meinem Blog Female-Resources, der zu einem interdisziplinären – ganz analogen – Netzwerk geführt hat. Darüber hatte ich Gelegenheit einen tieferen Einblick in die Gender-Medizin zu gewinnen. Inzwischen gibt es sehr viele wertvolle Forschungsergebnisse, die in der medizinischen Versorgungspraxis oder auch in der Ausbildung kaum Berücksichtigung finden und auch z.T. innerhalb des gesamten Gesundheitssystems kaum bekannt sind. Die Grundidee des Kongresses war, alle Bereiche, die in diesem Thema unterwegs sind zusammenzuführen; denn je breiter ein solches Thema aufgestellt wird, desto besser wird es wahrgenommen und desto öffentlichkeitswirksamer wird es.

Was möchten Sie mit der Reihe „BundesKongresses Gender-Gesundheit“ erreichen?

Wir möchten v.a. eine Plattform für den interdisziplinären Austausch der Akteurinnen und entsprechend sensibilisierter Akteure im Gesundheitswesen etablieren, wo das Thema in seiner Breite diskutiert werden kann.

Unsere Intention ist es dabei aber ausdrücklich nicht, gegen ein bislang eher männlich ausgerichtetes Gesundheitssystem zu polemisieren. Unser Ziel ist es, beide Geschlechter in den Fokus zu nehmen und hier nach einer möglichst zielgenauen Versorgung auf allen Ebenen zu fragen – auch angesichts knapper werdender Ressourcen. Vor dem Hintergrund der Diskussion um eine personalisierte Medizin wäre in der genaueren Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede schon mal der kleinste gemeinsame Nenner gefunden. Neben den finanziellen Ressourcen müssen wir ja auch die Ressource "Arbeitskraft" im Blick behalten. Angesichts der demographischen Entwicklung wird ein drohender Ärztemangel oder der Pflegenotstand diskutiert. Wir leisten uns aber eine hohe Dropout-quote bei den jungen Absolventinnen eines Medizinstudiums, die nur zu rund 44 Prozent in der Vollversorgung ankommen. Hierfür sind u.a. Arbeitsstrukturen verantwortlich – familienunfreundliche Arbeitszeiten, aber auch die starke Hierarchisierung. Die Bezahlung von Pflegekräften und die soziale Anerkennung lassen dieses Berufsbild für den Nachwuchs nicht besonders attraktiv erscheinen – v.a. den männlichen Nachwuchs.

Wie sieht die Zielsetzung des 3. BundesKongress Gender-Gesundheit aus?

Auch der 3. Bundeskongress widmet sich konkreten Ansätzen, die strukturelle Veränderungen in unserem Versorgungssystem herbeiführen oder herbeiführen könnten. Um Führungspositionen zunehmend geschlechterparitätisch besetzen zu können, bedarf es neben der Kompatibilität von Familie und Beruf auch veränderter Selbstbilder und vor allem einer aktiven Beteiligung von Ärztinnen in Verantwortung – in ärztlichen Leitungsfunktionen, in den Entscheidungsgremien der Selbstverwaltung und der Fachgesellschaften. Während sich bei der unmittelbaren Patientenversorgung die Diskussion auf den wachsenden Anteil von Frauen in der Medizin konzentriert, scheint der fehlende Anteil an Männern in der Pflege fast selbstverständlich. Der 3. Bundeskongress Gender-Gesundheit will daher auch danach fragen, welche Möglichkeiten es gibt, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten, um auch in diesem Bereich Effizienzreserven im Versorgungssystem aufzudecken und zu heben.

Welchen medizinischen Themenschwerpunkt hat sich der 3. BundesKongress Gender-Gesundheit gesetzt?

Auf medizinischem Gebiet wird sich der Kongress 2015 – nach den Themenfeldern Herzinfarkt und Depression in den Vorjahren – dem Schwerpunkt "Gender und Diabetes" zuwenden und nach den geschlechtsspezifischen Ausprägungen in Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus fragen.

Sogar die Bundesregierung hat erkannt, dass es von enormer Bedeutung ist, die Volkskrankheit Diabetes (6,7 Millionen sind in Deutschland schon zuckerkrank) in den Griff zu bekommen und will dazu eine nationale Strategie verabschieden. Gesundheitspolitikers Dietrich Monstadt (CDU) – auch Gast des 3. BundesKongresses Gender-Gesundheit – ist hier ganz wesentlich beteiligt.

Wir werden ihn dazu am 22. Mai 2015 auf dem Podium befragen und ich bin gespannt wie weit die Bundesregierung schon konkrete Vorschläge präsentieren kann.

Was ist Ihre Forderung an die Politik?

Mit dem Koalitionsvertrag und dem Entwurf zum Präventionsgesetz hat die geschlechtsspezifische Versorgung schon mal Berücksichtigung gefunden. Das könnte in Zukunft noch weiter ausgeführt werden. Um aber die Ressource Ärztin bzw. Arzt oder Pflegekraft nicht dem Zufall zu überlassen oder einer mehr oder weniger geglückten Zuwanderung, müsste diesem Problem attraktiven mit Beschäftigungsangeboten entgegengesteuert werden. Wir müssen die notwendigen Strukturveränderungen im System angehen. Neue Arbeitszeitmodelle, flachere Hierarchien eine größere Wertschätzung des Pflegeberufs und eine bessere Kooperation zwischen den Gesundheitsberufen sind hierfür die Grundlage. Hierzu könnte die Politik stärkere Anreize setzen. 

3. BundesKongressGenderGesundheit 2015 in Berlin

Schirmherrschaft: Ingrid Fischbach, MdB und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit

Donnerstag, 21. Mai 2015 und Freitag, 22. Mai 2015

09:00 Uhr – 22:00 Uhr

09:00 Uhr – 13:00 Uhr

Landesvertretung Baden-Württemberg | Tiergartenstraße 15 | 10785  Berlin

Weitere Infos unter www.bundeskongress-gender-gesundheit.de

 




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