Politik, Kultur & Wissenschaft

Erkenntnisse in die Praxis umsetzen

Im Gespräch mit Prof. Dr. Holger Rogall zum Fachkongress Nachhaltige Ökonomie 2014 und dem Wissenstransfer in die Praxis.

Im Gespräch mit Prof. Dr. Holger Rogall zum Fachkongress Nachhaltige Ökonomie 2014 und dem Wissenstransfer in die Praxis.

UMWELTHAUPTSTADT.de: Am 25. Oktober 2014 findet in Berlin der Fachkongress Nachhaltige Ökonomie 2014 statt. Bitte beschreiben Sie kurz die Art der Veranstaltung und die Zielsetzung.

PROF. DR. HOLGER ROGALL: Wir wissen heute, dass unsere Art des Wirtschaftens die natürliche Lebensgrundlage der Menschheit zerstört und somit ein dauerhaft menschenwürdiges Leben auf der Erde für die zukünftigen Generationen verhindert. Der Fachkongress Nachhaltige Ökonomie 2014 beschäftigt sich damit, wie der Prozess des Umbaus der globalen Volkswirtschaften zu einem nachhaltigen Wirtschaften zu bewerkstelligen ist.

Wann und warum wurde diese Kongressreihe ins Leben gerufen und was sind die Erfolge bisher?

In der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (früher FHW) wird seit Ende 1990er Jahre an der Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaftslehre gearbeitet. Sie wird heute in einigen Studiengängen eingesetzt. Wichtiges Ziel ist es, die Nachhaltige Ökonomie noch stärker in der öffentlichen Diskussion zu verankern und andere Hochschulen zu motivieren, ihr Lehrangebot in Richtung Nachhaltigkeit zu erweitern.

Das positive Echo auf den ersten Nachhaltigkeitskongress im vergangenen Jahr zeigt, dass sich eine zunehmende Anzahl von Unternehmen, Bürgern und Hochschulen mit dem Thema nachhaltige Ökonomie auseinander setzen und sich darüber Gedanken machen, wie diese Erkenntnisse in der Praxis umzusetzen sind. Diesen Bedarf trägt der diesjährige Kongress Rechnung.

Welche Themenschwerpunkte werden dieses Jahr diskutiert und wer sind die Referenten?

Der Kongress gliedert sich in mehrere Podiumsvorträge. Hier sind insbesondere die sehr renommierten Nachhaltigkeitswissenschaftler Harry Lehmann (UBA), Uwe Leprich (HTW Saarland) und Michael Müller (Staatssekretär a.D.) hervorzuheben und verschiedene Vorträge in den drei Foren. In dem Forum I Transformation gestalten geht es um die Frage, wie die immer noch an den Hochschulen gelehrte aber überholte Wirtschaftslehre durch eine nachhaltige Wirtschaftslehre ersetzt werden kann. Hier konnten wir Nina Michaelis (FH Münster) und Hans Diefenbacher (FEST e.V.) gewinnen. In dem Forum II Energiewende realisieren soll herausgearbeitet werden, welche Bedingungen für eine 100%-Versorgung mit erneuerbaren Energien erfüllt werden müssen. Hier werden Martin Jänicke (FU Berlin) und David Jacobs (IET) ihre nationalen und internationalen Forschungsergebnisse vortragen. Im Forum III Ressourcen schonen geht es um die Frage, wie die Strategiepfade Vermeidung, Wiedergewinnung der Werkstoffe und Nutzung nachwachsender Rohstoffe umzusetzen sind. Hierzu sprechen Michael von Hauff (TU Kaiserslautern) und Gerolf Hanke (Norbert Elias Zenter).

Für wen lohnt sich eine Teilnahme?

Für alle interessierten Bürger und Mitarbeiter aus Verwaltungen, Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen, die sich mit dem Thema des nachhaltigen Wirtschaftens beschäftigen und ihr Wissen vertiefen möchten.

Der Fachkongress Nachhaltige Ökonomie soll mögliche Alternativen zu unserem aktuellen Wirtschaftssystem aufzeigen.
Wo liegen Ihrer Meinung nach aktuell die größten Schwachpunkte im bestehenden System?

Wir teilen die Probleme des heutigen Wirtschaftens zusammengefasst in die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit:  

In der ökologischen Dimension ist die Klimaerwärmung, die zu vielen Millionen Toten führen wird und eine neue Völkerwanderung auslösen könnte, das größte Problem, gefolgt von der Übernutzung der erneuerbaren Ressourcen wie Wasser und dem Verbrauch der nicht erneuerbaren Ressourcen wie die fossilen Energieträger und andere Rohstoffe.

In der ökonomischen Dimension könnte der Verbrauch der nicht erneuerbaren Ressourcen zu Knappheitspreisen führen, die für dauerhafte Inflationsimpulse sorgen könnten. Die Klimaerwärmung wird den Hunger in der Welt enorm verschärfen.

In der sozial-kulturellenDimension steht die Sorge um Klima- und Ressourcenkriege im Mittelpunkt der Systemschwäche.

Welche Alternativen werden aktuell diskutiert? Bevorzugen Sie ein bestimmtes System?

Die Vertreter der Nachhaltigen Ökonomie sind sich einig, dass weder eine zentrale Verwaltungswirtschaft noch die kapitalistische Marktwirtschaft ein dauerhaft menschenwürdiges Leben auf der Erde ermöglicht. Also muss das jetzige Wirtschaftssystem in eine nachhaltige Marktwirtschaft transformiert werden, in der Marktprozesse eine wesentliche Funktion behalten, die wirtschaftliche Entwicklung aber durch ökologische Leitplanken (politisch-rechtliche Instrumente) ein Entwicklungsziel erhält.

Inwieweit werden diese alternativen Ansätze bereits in unser Bildungssystem integriert und beispielsweise an Universitäten gelehrt?

Die Erkenntnisse der Nachhaltigkeitswissenschaft, insbesondere des nachhaltigen Wirtschaftens, werden heute nur sehr vereinzelt in den deutschen Hochschulen gelehrt. In der Volkswirtschaftslehre zum Beispiel stehen viel mehr die mathematischen Modelle des 19. Und 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt und die Ressourcenfrage führt ein Schattendasein. Erst in den letzten paar Jahren wurden die ersten Professuren für Nachhaltige Ökonomie eingerichtet.

Brauchen wir völlig neue Bewertungsmaßstäbe? Ist Beispielsweise das BIP als Wohlstandsindikator nicht mehr zeitgemäß, weil es die Umweltkosten nicht ausreichend mit einbezieht?

Das Bruttoinlandsprodukt ist als Wohlstandsindikator gänzlich ungeeignet. Da die Reparatur von Umweltkosten sogar positiv bewertet wird, statt sie von dem Jahresergebnis abzuziehen. Alternativ existieren jetzt eine Reihe von Messsystemen, zum Beispiel das Indikatorensystem der Bundesregierung, das den Nachhaltigkeitsgrad von Deutschland messen kann, aber nur in den wenigsten Studiengängen behandelt wird.

Wer sollte Ihrer Meinung nach viel stärker als bisher Treiber des grünen Wandels sein - die Unternehmen mit einem veränderten Produktangebot, die Politik mit strengeren Umweltauflagen, die Wissenschaft mit mehr Erkenntnissen oder die Verbraucher mit ihrem Konsumverhalten?

Die Hoffnung auf nur einen Akteur ist eine Illusion. Nur ein breites Bündnis aus Politik, Bürgergesellschaft und Wissenschaft sowie innovativen Unternehmern hat eine Chance gegen die großen Machtkomplexe anzukommen, die die Strukturen und Ziele des vergangenen Jahrhunderts verteidigen.

Sie sind Vorsitzender der Gesellschaft für Nachhaltigkeit (GfN). Wofür steht diese Organisation und wer kann sich einbringen?

Die GfN unterstützt seit über zehn Jahren die Entwicklung der Nachhaltigen Ökonomie. Durch ihre Arbeit konnten die wesentlichen Erkenntnisse einem interessierten Fachpublikum näher gebracht werden. Wir suchen aber weiter nach Mitstreiter und Praktikanten, die bereit sind, die Erkenntnisse der nachhaltigen Wirtschaftslehre auch einem breiteren Publikum bekannt zu machen.

Mehr Informationen und Anmeldung zum Fachkongress Nachhaltige Ökonomie




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