Oftmals fehlen „Menschen ohne Behinderung“ die Berührungspunkte zu „Menschen mit Behinderung“. Gerade am Arbeitsplatz macht sich das bemerkbar. PAULkocht setzt sich dafür ein, die Welten zusammenzubringen und jede*m einen Arbeitsplatz mitten in der Gesellschaft zu bieten. Dieser Arbeitsplatz hat viel mit gesunden Leckereien und regionalen Zutaten zu tun, denn bei PAULkocht werden saisonale Gerichte ohne künstliche Zutaten hergestellt. Zu Hause oder direkt im Restaurant mit der offenen Küche können die Gerichte verzehrt werden. Mehr dazu im Interview mit Gründerin Sybille.
LifeVERDE: Sybille, seit wann gibt es die Initiative PAULkocht und mit welchem Ziel wurde sie ins Leben gerufen?
Sybille: Arbeitsplätze mitten in der Gesellschaft für Menschen mit Behinderungen schaffen – mit dieser Idee sind wir als Elterninitiative vor fast zehn Jahren gestartet. Es ging darum, die jungen Menschen nicht in einer „Sonderwelt“, wie es die Behindertenwerkstätten sind, zu beschäftigen, sondern sie ein sichtbares Produkt herstellen zu lassen. Eines, das geeignet ist, im allgemeinen Handel zu bestehen und das gleichzeitig positive Emotionen weckt. Was wäre da besser geeignet als schmackhafte und gesunde Lebensmittel? So entstand die Idee, eine Produktlinie zu entwickeln, die guten Geschmack, handwerkliche Herstellung und den Nachhaltigkeitsgedanken vereint. Seit 2016 produzieren und verkaufen wir Feinkostprodukte, die ohne vorgefertigte Industrieerzeugnisse auskommen, die überwiegend aus regionalen Zutaten bestehen und damit gesunden Genuss mit Sinn versprechen.
Ihr steht für Inklusion und möchtet Menschen mit Behinderungen zu mehr Gleichberechtigung verhelfen. Was genau versteht ihr unter Inklusion und wie setzt ihr euch dafür ein?
Inklusion ist für uns keine Theorie, kein soziologisches Schlagwort, sondern täglich gelebte Wirklichkeit. Wir arbeiten als gemischtes Team, und jede und jeder hat seinen Anteil am täglichen Tun. Wir nehmen Rücksicht auf jede*n Einzelne*n und darauf, wie er/sie die eigenen Stärken am besten einsetzen kann. Wer besondere Hilfestellung benötigt, bekommt diese. Und wer einen schlechten Tag hat, macht ein bisschen langsamer und ist am nächsten Tag wieder besser drauf. Und wir finden es wichtig, dass dieses gemeinsame Arbeiten auch sichtbar wird. Denn wir möchten Inklusion als selbstverständlich vorleben. Wir wissen von unseren Gästen und Kund*innen: Viele hatten bisher in ihrem Alltag einfach keine Berührung mit Menschen mit Behinderung. Da schwirren viele Schreckensbilder und viel diffuses Mitleid in den Köpfen herum. Begegnung aber baut Vorurteile ab, ermöglicht Verständnis und schafft eine Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Das ist es, was wir in erreichen wollen.
Das Team von PAULkocht (Bild: PAULkocht).
Wie ist die aktuelle Situation für Menschen mit Behinderung und deren Arbeitsmöglichkeiten und was stört euch daran?
Für viele junge Menschen, die eine sogenannte geistige Behinderung haben, ist nach der Schule der Weg in die Behindertenwerkstätten quasi vorgezeichnet. Sie haben keine Alternativen und keine Wahlmöglichkeiten. Sie sind auf die Beschäftigungsangebote angewiesen, die es dort gibt – und sie bleiben dort unter sich. Viele Werkstattbeschäftigte fühlen sich auch wohl und werden gut betreut. Das ist gut so und es wäre falsch, die Behindertenwerkstätten einfach abzuschaffen. Aber die Werkstätten schaffen es gleichzeitig nicht, die Beschäftigten auch in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, wie es eigentlich ihr gesetzlicher Auftrag ist. Wir möchten aufzeigen, wie es möglich ist, Menschen mit Handicap im allgemeinen Arbeitsmarkt zu beschäftigen, indem man ein Arbeitsumfeld kreiert, das sie in ihren Stärken und Begrenzungen annimmt und die Arbeitsbedingungen darauf abstellt.
Bei PAULkocht können Suppen, Fertiggerichte, Kuchen und Chutneys gekauft werden, die frei von künstlichen Zusätzen sind. Worauf achtet ihr bei der Zutatenauswahl?
Wir stellen alle unsere Produkte von Grund auf selbst her, das heißt, dass wir keine industriell hergestellten Zwischenprodukte verwenden. So können wir Zusatzstoffe vermeiden, die in der Lebensmittelindustrie üblich sind. Wir kaufen nach Möglichkeit bei regionalen Erzeuger*innen ein und arbeiten nach der Saison – das heißt wir produzieren Kürbissuppe nur im Herbst und Spargelsuppe nur in der Spargelsaison. Zu diesem Zweck haben wir Kooperationen mit Bauern aus der Umgebung, die die aus ihren Erzeugnissen hergestellten Gerichte wieder in ihrem Hofladen verkaufen. Das ist ein sehr schöner, sinnvoller Kreislauf. Ein weiterer Aspekt für uns sind die Verpackungen: Kunststoffverpackungen verwenden wir überhaupt nicht, unsere Produkte werden ausschließlich in hochwertigen und haltbaren Glasverpackungen angeboten. Die sind wiederverwertbar bzw. recycelbar. Nachhaltigkeit war von Anfang an ein selbstverständlicher Teil unseres Konzeptes. Mittlerweile haben wir auch beim Außer-Haus-Verkauf in unserem Bistro auf Mehrweg-Verpackungen umgestellt und verringern unseren CO2-Fußabdruck damit weiter.
Die gesunden Speisen von PAULkocht werden in handwerklicher Sorgfalt hergestellt (Bilder: PAULkocht).
Die Speisen werden in handwerklicher Sorgfalt und mit traditionellen Methoden gekocht. Was genau versteht ihr darunter und wie läuft die Herstellung ab?
Bei uns wird vieles von Hand gemacht: Gemüse vorbereiten, der Kochvorgang, Würzen, das Abfüllen und Abwiegen. Das sind viele Arbeitsschritte, an denen viele Hände mitarbeiten. Die Haltbarmachung geschieht durch traditionelles Einkochen – ein Verfahren, das seit vielen Generationen bekannt ist und früher auch in den meisten Haushalten üblich war. Durch Erhitzen der fertig gekochten und in Gläser gefüllten Lebensmittel wird eine Haltbarkeit von bis zu einem Jahr erreicht, ohne Zusatz von Zusatzstoffen.
PAULkocht hat auch ein Bistro mit offener Küche. Wieso ist euch der Blick in die Küche wichtig und was zeichnet euer Bistro noch aus?
Unser Bistro ist der Begegnungsraum für unsere Gäste und Beschäftigten. Hier hat man einen direkten Einblick in die Produktionsküche und sieht unsere Beschäftigten bei ihrer Arbeit. Und unsere Mitarbeiter*innen sehen die Gäste und Kund*innen und damit ganz direkt, dass ihre Arbeit zu einem geschätzten und nachgefragten Produkt führt. Das führt zu einem ganz hohen Maß an Zufriedenheit und Motivation. Man kann es als Erfahrung von Selbstwirksamkeit bezeichnen, was zur Lebenszufriedenheit eines jeden Menschen enorm beiträgt.
Was sind eure Erwartungen für die Zukunft von PAULkocht?
PAULkocht soll maßvoll und stetig wachsen und damit einer wachsenden Zahl von Menschen eine sinnvolle und befriedigende Beschäftigung bieten, so haben wir als Gründer es uns vorgenommen. Wir wollen gleichzeitig ein kleines Beispiel sein für eine Arbeitswelt, in der Menschen in ihrer Individualität erkannt und gefördert werden. Und natürlich wollen wir möglichst viele Menschen mit wohlschmeckenden Lebensmitteln versorgen, die für gesunden Genuss mit Sinn stehen.
Vielen Dank für das Interview, liebe Sybille!
Dir schwebt nun auch noch eine Frage im Kopf herum, die du gerne an PAULkocht stellen möchtest?
Dann schreib sie in die Kommentare - wir freuen uns auf den Austausch mit dir!
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