Grüne Wirtschaft

Grabsteine für Ideen: Keine Angst vor kuriosen Friedhöfen

GASTBEITRAG | Der Innovationsexperte Jens-Uwe Meyer, ehemaliger Chefreporter von Pro Sieben und Programmdirektor von Antenne Thüringen, empfiehlt Unternehmen, keine Angst vor „Innovationsfriedhöfen“ zu haben, weil es erlaubt sein muss, mit Experimenten zu scheitern.

GASTBEITRAG | Der Innovationsexperte Jens-Uwe Meyer, ehemaliger Chefreporter von Pro Sieben und Programmdirektor von Antenne Thüringen, empfiehlt Unternehmen, keine Angst vor „Innovationsfriedhöfen“ zu haben, weil es erlaubt sein muss, mit Experimenten zu scheitern.

15.09.2017 - Gastbeitrag von Dr. Alexandra Hildebrandt

Im Kontext der Digitalisierung erinnert der Begriff an die deutsche Folklore der neuen Duzkultur, an das Ablegen von Krawatten im Management und das Hineinschlüpfen in Sneakers. Ãœber diese Äußerlichkeiten des digitalen Wandels – die allerdings noch nichts über einen gelungenen Kulturwandel in Unternehmen aussagen - ist viel in den vergangenen Jahren debattiert und kommuniziert worden.

Der Begriff macht durchaus Sinn, braucht allerdings unvergessliche Geschichten. Eine davon ist die des Unternehmers Josef Zotter: Der 1961 in Feldbach (Österreich) geborene Chocolatier und Landwirt erfand 1992 die handgeschöpfte Schokolade. Eine Mischung aus Erfindungsgabe und Handarbeit, gefüllt in Schichten und Lagen.

Seine Story stellt vieles von dem auf den Kopf, was bislang für erfolgreiche Unternehmer als „notwendig“ galt. Sein Lebenswerk bezeichnet er als einen dynamischen Kopfstand „mit aktiver Neigung zu permanenten Kopfgeburten“: Einfälle, die kopfstehen, und die auch gegen Widerstände umgesetzt wurden.

Im Sternzeichen Fisch geboren, fühlt er sich zuweilen wie im Aquarium – ihm schwirren die Gedanken und Einfälle nur so um die Ohren („wie die frischen Fische“). Er mochte es schon immer, mit Ideen zu spielen und zu fantasieren. Erfüllung empfindet er, wenn aus einem Gedanken mehr wird und in der entstehenden Gedankenlücke gleich wieder ein frischer Fisch sitzt.

Er fühlt sich zu den Wassertieren hingezogen, weil sie etwas Freches, Neugieriges und Quirliges haben – allerdings nur in ihrer gewohnten Umgebung. Das gilt für ihn ebenso wie für frische Ideen. Deshalb sei es wichtig, sich niemals einfangen zu lassen, weil sie dann buchstäblich zugrunde gehen würden.

Innovationen und Nachhaltigkeit gehören für Zotter zusammen. Mittlerweile gehört sein Unternehmen zu den nachhaltigsten in Österreich. Sogar die Harvard Business School lässt ihre Studenten den „Fall Zotter“ studieren.

Seit 2012 begräbt er seine Ex-Schokosorten und Ideen auf dem Ideenfriedhof im Essbaren Tiergarten, der ein Jahr zuvor als Open-Air-Teil des Schoko-Laden-Theaters eröffnet wurde, und  wo er für Transparenz und Wertschätzung von Lebensmitteln wirbt. Zotter machte damals mit dem Schoko-Laden-Theater seine Manufaktur in Riegersburg in der Steiermark für Besucher zugänglich und produziert ausschließlich in Bio- und Fair-Qualität. Privat ist er Selbstversorger.

2012 feierte er ein Doppeljubiläum (20 Jahre handgeschöpfte Schokolade und 25 Jahre Zotter als Familienunternehmen). Da Ideen ständig hervorgebracht („geboren“) werden und irgendwann sterben, wollte er diesen Prozess sichtbar machen und zeigen, dass dies ein wichtiger Teil seiner Geschichte ist.

Auf dem Ideenfriedhof liegen Ideen, die nie umgesetzt wurden, aber auch Kreationen, die der Unternehmer irgendwann begraben hat. Schoko-Grabsteine erinnern an Ideen und Schokosorten, die nicht mehr erhältlich sind.

Schaut dem Essen in die Augen“, lautet seine Devise und setzt damit wie beim Schoko-Laden-Theater auf Transparenz, Nachhaltigkeit und Innovation im landwirtschaftlichen Bereich – (s)ein Ausweg aus der Massentierhaltungsindustrie.

Der kuriose Friedhof kommt bei den Besuchern sehr gut an. Da viele von ihnen den alten Schoko-Sorten nachtrauern, lässt er einige für kurze Zeit als Revival wiederaufleben. Die Kreationen werden dann buchstäblich „exhumiert“. Dadurch wird Vergänglichkeit bewusst genossen.

Der Unterschied zu anderen Friedhöfen besteht darin, dass dieser nichts Trauriges an sich hat: Die Menschen können auf den Grabsteinen lesen, was im Unternehmen gedacht wurde, und was es früher hergestellt hat.

Jährlich werden hier etwa 70 neue Ideen entwickelt, für die andere weichen müssen, um ihnen Platz zu machen. Wer einfach macht, kalkuliert auch Fehler und das Scheitern mit ein. Am wichtigsten ist es für den Unternehmer, sich dazu zu bekennen und daraus zu lernen, um neue Wege einzuschlagen und sich weiterzuentwickeln: „Die ganze Natur, die Evolution und der Mensch basiert auf dem Trail-and-error-Prinzip. Ohne Fehler keine Entwicklung!“

Die renommierte Innovationsforscherin Univ.-Prof. Dr. Marion A Weissenberger-Eibl ist bis heute von Menschen fasziniert, die wie er Ideen schnell in marktfähige Produkte verwandeln und Dinge mutig verwirklichen – trotz bestehender Unsicherheiten.

Seit 2007 leitet sie das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe und ist Inhaberin des Lehrstuhls Innovations- und TechnologieManagement am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Um in Unternehmen heute einen Strom von neuen Ideen zu produzieren, muss nach Ansicht der Wissenschaftlerin die gesamte Organisation konsequent auf Innovation ausgerichtet werden. Wichtig sei das schrittweise und systematische Vorgehen. Allerdings lässt sich Kreativität nicht befehlen oder erzwingen, sondern muss entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.

„Oft haben Mitarbeiter in Unternehmen oder in Forschungseinrichtungen relativ konkrete Vorstellungen darüber, wie man Prozesse oder Produkte verbessern kann. Die werden allerdings nicht immer umgesetzt – vielleicht auch, weil sie unbekannt bleiben. Ein gutes Ideenmanagement strukturiert die Generierung, Sammlung und Auswahl geeigneter Ideen für Verbesserungen und Neuerungen.“

Dem Ideenmanagement folgt dann das Innovationsmanagement, was eine Art Brückenschlag zwischen Kreativität und Innovation darstellt. Ein nachhaltig ausgerichtetes Innovationsmanagement betrachtet die unternehmensinterne sowie -externe Perspektive und ermöglicht einen dauerhaften Kreativitätsprozess im Unternehmen, in dem auch Fehler gemacht werden können und Ideen sterben dürfen. Zotters Ideengrabsteine zeigen, dass wir davor keine Angst haben müssen.

Weiterführende Informationen:

  • Josef Zotter: Kopfstand mit frischen Fischen. Mein Leben – meine Ãœberzeugungen. Erw. und aktualisierte Neuausgabe. Wolfgang Wildner & Wolfgang Schober Riegersburg 2015.
  • Weissenberger-Eibl, Marion A.; Rot, Philip (2013): Ideenbezogene Konsultationsprozesse – wie Soziale Netzwerke die Innovationskraft von Unternehmen bestimmen. In: Gausemeier, Jürgen (Hrsg.): Vorausschau und Technologieplanung: 9. Symposium für Vorausschau und Technologieplanung, 5. und 6. Dezember 2013, Berlin, S. 139-156 (HNI-Verlagsschriftenreihe Bd. 318). 
  • Weissenberger-Eibl, M./Speith, S. (2005): Der Wert von Ideen in neu gegründeten und kleinen Unternehmen, im Rahmen der 3. Tagung "Entrepreneurship in Theorie und Praxis" 21. Oktober 2005, Klagenfurt

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