Grüne Wirtschaft

Events sind in 10 Jahren entweder klimaneutral oder verboten

INTERVIEW | Veranstaltungen pausieren seit mehr als einem Jahr. Zeit genug also, um Konzepte entwickelt zu haben, Events zukünftig nachhaltig und klimaneutral auszurichten – oder?

INTERVIEW | Veranstaltungen pausieren seit mehr als einem Jahr. Zeit genug also, um Konzepte entwickelt zu haben, Events zukünftig nachhaltig und klimaneutral auszurichten – oder?

27.05.2021 | Ein Interview geführt von Maleen Focken | Bilder: Stefan Lohmann, Unsplash

Stefan Lohmann stellt keine leeren Forderungen an die Politik und die Veranstaltungswirtschaft nach dem Motto: „Hey, in der Eventbranche läuft etwas gehörig schief. Macht da mal etwas gegen.“ Vielmehr gibt er energiegeladen und mehr als deutlich allen Beteiligten in der Veranstaltungswirtschaft das Werkzeug an die Hand, Events zukünftig klimaneutral und nachhaltig zu gestalten. Im Interview erzählt er uns, was es mit der Transformation der Eventbranche auf sich hat und warum anderenfalls Veranstaltungen in zehn Jahren verboten würden.

LifeVERDE: Kurz und knapp: Wie lautet Ihr Aufruf?

Stefan Lohmann: Aufruf zur Förderung einer klimaneutralen und nachhaltigen Veranstaltungswirtschaft.

Es geht darum, die Eventbranche zur transformieren hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.

Die notwendigen Investitionen sollen über die nachhaltigen Konjunkturpakete finanziert werden.

Portrait Stefan Lohmann

An wen richten Sie Ihre Forderungen?

Der Aufruf richtet sich an die Politik und die öffentliche Hand (Regierung, Städte und Kommunen).

Die Politik soll ihr Versprechen einhalten und die Eventbranche mit nachhaltigen Konjunkturpaketen unterstützen. U.a. hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier die nachhaltigen Konjunkturpakete groß angekündigt. Auch der Green Deal verspricht diese gekoppelten Konjunkturpakete für nachhaltige Unternehmen.

Mit den nachhaltigen Konjunkturpaketen sollen Investitionen und Fortbildung, neue Veranstaltungskonzepte und Forschung für neue Produkte und Services vorangetrieben werden können.

Die konkreten Forderungen stehen in unserem Aufruf: Aufruf zur Förderung einer nachhaltigen Veranstaltungswirtschaft

Dort findet man auch unsere Forderung, dass die öffentliche Hand als größte/größter Veranstalter*in in Deutschland mit ihrer enormen Lenkungskraft Einfluss nehmen soll, indem alle Ausschreibungen und Genehmigungen und Förderungen von Veranstaltungen, Messen, Public Events etc. entsprechend an eine klimaneutrale Umsetzung gekoppelt werden. Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, in einem Land, das klimaneutral werden will.

Zudem sollten Veranstalter*innen und Künstler*innen die Möglichkeit erhalten, überall Veranstaltungen klimaneutral umsetzen zu können. Grundvoraussetzung dafür wäre echter Ökostrom in allen Veranstaltungsorten. Auch davon sind wir noch weit entfernt. Zumal die Städte nicht mal ihre eigenen Locations, Theater, Verwaltungsgebäude… mit Ökostrom betreiben.

Der Witz ist, dass allein der Umstieg in der Regel Kosten spart. Verbindet man das noch mit einem Effizienz- und Energiesparmanagement, werden Millionen von Euro – also Steuergelder - eingespart.

Allein Hamburg verbraucht 100 Millionen Kilowattstunden nur für die Verwaltungsgebäude pro Jahr.

Gesamtverbrauch der Stadt liegt bei 400.000 Millionen Kilowattstunden – und Hamburg ist sogar Ökostromlieferant, trotzdem wird der nicht überall genutzt. Hier liegen sozusagen Schätze vergraben, die man mit einem Anruf heben kann. Einfach auf Ökostrom umstellen.

Inwiefern haben Veranstaltungen einen negativen Impact auf die Natur? Haben Sie beispielhafte Zahlen oder Fakten?

Beim negativen Impact braucht man nicht lange zu forschen.

Wenn man den Abbau einer Messe beobachtet, dann kommt man aus dem Staunen nicht raus. Dort werden kilometerlange Teppichbahnen, beste Holzböden und hochwertige Messestände und unvorstellbare Mengen an Plastik und Planen und Vorhängen etc. in einen Müll-Container geworfen. Wir reden hier von vielen Tonnen Material pro Messe. Das wird weder gesetzeskonform noch umweltfreundlich entsorgt – geschweige denn recycelt.

Festivals haben in 2-3 Tagen einen Stromverbrauch wie Kleinstädte in einem Jahr. Stromerzeugung läuft häufig über Dieselaggregate oder noch schlimmer mit Heizöl.

Mal ein Festivalgelände nach dem Festival angeschaut? Danach fragt man sich nicht mehr, ob es einen negativen Impact bei Veranstaltungen gibt. Man fragt sich eher, wie das sein kann, dass so viel Müll liegen bleibt. Da sieht man, was Wegwerfgesellschaft bedeutet.

Ich könnte unendlich viele Dinge auflisten, da die Eventbranche aktuell leider immer noch auf Einmalnutzung und Wegwerfen ausgelegt ist. Aber das wollen wir ändern!

An welchen fest verankerten Werten hapert es, dass Events, zu deren Stärken, wie Sie selbst schreiben, Kreativität, Optimierung und Effizienz gehören, nicht schon jetzt klimaneutral und nachhaltig ausgerichtet sind?

Ignoranz, Fehleinschätzung der Gesamtsituation und fehlendes Fachwissen. Das sind die Probleme.

Es fehlt an Wertschätzung und dem Verständnis von nachhaltigen Wirtschaften. Es fehlt an Diversität in Führungsetagen und es fehlt an neuen Konzepten.

Die Branche schaut vielfach zu, wie alte Konzepte nicht mehr funktionieren z.B. im Messebereich. Es gibt aber zu wenig neue Ideen.

Ein Großteil der Branche glaubt, Nachhaltigkeit sei ein Trend und geht wieder vorbei. Ein anderer Teil wartet darauf, dass die Kunden Nachhaltigkeit einfordern. Bis dahin unternehmen sie nichts und sehr oft höre ich auch: „Nachhaltige Events sind teurer und das zahlt der Kunde nicht.“

Das meine ich mit fehlendem Wissen. Wer Nachhaltigkeit in der Planung implementiert, spart sogar Geld, weil weniger Energie benötigt wird, weil weniger kompensiert wird, sondern tatsächlich CO2 reduziert wird, weil weniger Ressourcen eingesetzt werden und weil weniger Abfall anfällt und dafür mehr recycelt wird.

Viele unterschätzen auch den gesellschaftlichen Wandel, den politischen Willen und die neuen Gesetze.

Wenn sogar Rock am Ring einen Shitstorm erhält, weil deren Line Up nicht divers und schon gar nicht gleichberechtigt ist, dann zeigt das doch eins ganz deutlich: Das Publikum hat seine Einstellung geändert und macht nicht mehr alles mit. Das zeigen auch diverse Studien in Bezug auf Einkaufverhalten und Markenbindung.

Grüße und meinen Dank an Fridays for Future für deren unglaublich wichtigen Einsatz für unsere Gesellschaft und unseren Planeten!

Events in 10 Jahren klimaneutral oder verboten

Sind die Werkzeuge, mit denen eine Veranstaltung zu einer nachhaltigen gemacht werden können, bereits theoretisch vorhanden oder gibt es noch Dinge, die erst noch „erfunden“ werden müssen?

Das ist ja das Erschreckende. In unserer Branche sind fast alle Lösungen bereits vorhanden. Genau diese Lösungen und Lieferant*innen mache ich ja mit Sustainable Event Solutions sichtbar.

Klar gibt es Detailfragen, aber viele liegen gar nicht in unserem Bereich. Wir stellen als Branche ja keine alternativen Kraftstoffe her. Insofern können wir Flüge leider nur kompensieren. Aber in der Logistik gibt es schon Lösungen, um 80 % CO2 Emissionen einzusparen.

Natürlich sollten die Hersteller von LED Lampen schauen, wie man Probleme wie hohe Stromlastgänge beim Einschalten der Lampen verhindert. Es gibt immer wieder Dinge, die verbessert werden müssen, auch beim Molton oder Teppichen. Aber es gibt recycelbare Teppiche, die darf man dann nur nicht in einen Container mit Plastik werfen, sondern man muss den Müll trennen, damit daraus wieder Wertstoffe werden, die man sogar wieder verkaufen kann.

Könnten Sie uns beispielhaft einige Maßnahmen nennen, die eine Veranstaltung auf sozialer, ökologischer und ökonomischer Ebene nachhaltiger machen würden?

Einfach weniger Fleisch beim Catering anbieten, auf Diversität und Gleichberechtigung in der Programmgestaltung achten, NGOs und lokale Verein und soziale Projekte einbinden oder spenden, Abfallmanagement, Energiesparmanagement, Ressourcenmanagement einführen.

Kurz gesagt, alles machen wie immer, nur bei jedem Arbeitsschritt einmal darüber nachdenken, was die nachhaltigste Lösung für diesen Arbeitsschritt bzw. diesen Baustein der Veranstaltung ist.

Wer als Veranstalter*in keine Ahnung von Nachhaltigkeit hat, kann dennoch nachhaltig agieren, indem eine nachhaltige Location ausgewählt wird und mit nachhaltigen Lieferant*innen gearbeitet wird. So einfach kann es sein.

Was springt für Veranstalter*innen dabei heraus, möglichst nachhaltig zu wirtschaften?

Kosten sparen und die Welt retten – das sollte für alle Ansporn genug sein.

Und das meine ich ganz ernst!

Aber alle, die das nicht machen, sollten sich fragen lassen, wie sie das vor unseren Kindern, der Gesellschaft und dem Gesetz rechtfertigen! Das gleiche gilt für die Billigfleischindustrie und viele andere!

Hätte der Stillstand der Veranstaltungswirtschaft seit mehr als einem Jahr nicht DIE Chance für alle an dieser Branche Beteiligten geboten, in sich zu gehen, ihre Werte zu überdenken und die Eventbranche komplett umkrempeln, um dann die Welt nach der Pandemie mit offenen Armen und einem nachhaltigen Gesamtkonzept zu empfangen? Ist dieser Gedanke naiv?

Nein, genau das ist mein Gedanke und den finde ich ganz und gar nicht naiv.

Es ist die größte Chance unserer Branche, sich als Role Model zu präsentieren und als Phoenix aus der Asche aufzustehen. Wir als Branche bieten genau das, was alle jetzt wieder wollen: Begegnung und gemeinsame Erlebnisse. Es liegt in unserer Hand, ob wir in Zukunft mit der Billigfleischindustrie verglichen werden oder als die innovative Branche gefeiert werden, als die wir uns selbst gerne sehen.

Gab es vor Corona mindestens eine Veranstaltung, von der Sie behaupten würden, dass sie besonders nachhaltig und klimaneutral vonstattenging und wenn ja, warum?

Unter anderem der Deutsche Nachhaltigkeitspreis – dort habe ich einen besonders guten Einblick, weil ich dort offizieller Partner bin und das Live Entertainment Konzept mache und als Artist Relations Manager die Kontakte zu den Künstlern herstelle. Letztes Jahr hatten wir unter anderem Jack Johnson, Milky Chance, Elton John und Joy Denelane.

Was mir besonders gut gefällt ist der positive Impact dieser Veranstaltung. Denn der ist enorm.

Aber auch der Kirchentag gehört zu den nachhaltigsten Veranstaltungen in Deutschland und hat sogar ein EMAS Zertifikat. Die leisten dort großartige Arbeit. Aber auch das Glastonbury Festival, Roskilde Festival und das Wacken Open Air strengen sich sehr an und werden immer nachhaltiger.

Wo sehen Sie die Veranstaltungswirtschaft in zehn Jahren?

Bis dahin ist die Veranstaltungswirtschaft entweder klimaneutral oder verboten, weil solche Umweltsauereien, wie sie bis 2020 möglich waren, in 2030 garantiert nicht mehr möglich sein werden. Und das ist auch gut so.

Unsere Branche muss verstehen, dass die Nachhaltigkeit keine Belastung, sondern die Rettung der Branche ist. Nachhaltigkeit macht unsere Branche erst zukunftsfähig in einem klimaneutralen Deutschland bzw. Europa. Und dass Deutschland klimaneutral wird, ist ein Gesetz.

Unsere Branche hat nur eine Existenzberechtigung, wenn sie es schafft, Veranstaltungen klimaneutral und nachhaltig umzusetzen mit einem positiven Impact auf Natur und Gesellschaft. Und das geht – schon heute!

Wer jetzt keine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt in der Eventbranche, ist aktiv dabei, sich abzuschaffen.

Ich sag schon mal Tschüss an alle, die das einfach nicht verstehen wollen oder können.

Und ich sage Hallo zu allen Veranstalter*innen und Künstler*innen, die verstanden haben, dass nachhaltige Veranstaltungen und Tourneen nicht nur dafür sorgen, dass die Klimaveränderungen sich verlangsamen, sondern auch dafür sorgen, dass der Verbrauch und damit die Kosten sinken.

Bei Sustainable Event Solutions findet man kostenfrei entsprechende Lieferant*innen und Lösungen.

Wer eine Beratung will, kann sich gerne an mich wenden.

Sei es für die Entwicklung und Umsetzung einer passenden und individuellen Nachhaltigkeitsstrategie oder für die Unterstützung zur Umsetzung einer zertifizierbaren, klimaneutralen und nachhaltigen Veranstaltung.

Im September erscheint ein Buch, zu dem ich ein Abschnitt/Artikel geschrieben habe. In dem Buch beschreibe ich u.a. anhand des Deutschen Nachhaltigkeitspreises, was aktuell schon möglich ist.

Let’s go creative together for climate neutral and sustainable events with a positive impact on nature and society!

Hier einige Kommentare von Persönlichkeiten, die meinen Artikel schon lesen durften:

Martin Bethke Geschäftsleitung Märkte & Unternehmen – WWF Deutschland 

„Die natürlichen Lebensräume der Erde werden in nie dagewesener Geschwindigkeit zerstört und Klimawandel und Biodiversitätsverlust sind ein Resultat dieser Zerstörung. Dabei ist wirtschaftliche Aktivität einer der Kerntreiber der Zerstörung. Als Teil des Problems müssen Unternehmen daher auch Teil der Lösung sein. Und da ist jede Branche gefordert. Stefan Lohmann zeigt, dass mit Kreativität, Innovationsfähigkeit und Mut genau das auch in der Veranstaltungsbranche erfolgreich machbar ist - trotz aller Herausforderungen und Widerstände.“

Mario Lodigiani, Geschäftsführer der Geschäftsstelle des Umweltgutachterausschusses (EMAS):

„Nachhaltige und klimaneutrale Veranstaltungen sind anspruchsvoll, aber durchführbar. Stefan Lohmann zeigt aus einer übergeordneten Sichtweise auf, welche Stakeholder mit welchen Mitteln einen Beitrag zu nachhaltigen Veranstaltungen leisten können. Daneben stehen zahlreiche Instrumente als Unterstützung für den Einstieg in eine zukunftsfähige und nachhaltige Eventbranche zur Verfügung.“ 

Prof. Dr. Volker Quaschning - Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin (Scientists for future):

"Wir müssen die Veranstaltungsbranche über die Coronakrise hinwegretten und gleichzeitig die nächste Krise abwenden: Die Klimakrise. Viele Großveranstaltungen der vergangenen Jahre haben den Klimafußabdruck einer Kleinstadt eines Jahres in sich entwickelnden Ländern erreicht. Darum muss der Neustart klimaneutral erfolgen."

 

Handbuch Nachhaltigkeit in der Eventbranche – Konzepte und Beispiele für Veranstaltungen mit ökologischer, ökonomischer und sozialer Ausrichtung

Herausgeber:

Dr. Thorsten Knoll arbeitet seit 2001 als Projektleiter im Veranstaltungsmanagement der TUBS GmbH und verantwortet dort die konzeptionelle und organisatorische Durchführung von wissenschaftlichen Ausstellungen und Messebeteiligungen sowie Kongressen und Tagungen.

Professor Stefan Luppold leitet den Studiengang „BWL – Messe-, Kongress- und Eventmanagement“ an der DHBW (Duale Hochschule Baden-Württemberg) in Ravensburg. Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher Fachbücher und ausgewiesener Experte der Live-Kommunikation.

Verlag:

Springer ist ein weltweit führender Wissenschaftsverlag, der Forschern an Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen innovative Produkte und Services aus einem breiten Spektrum an qualitativ hochwertigen Inhalten anbietet.

 

Vielen herzlichen Dank für das Interview, Herr Lohmann.

Dir schwebt nun auch noch eine Frage im Kopf herum, die du gerne an Stefan Lohmann stellen möchtest?

Dann schreib sie in die Kommentare. Wir freuen uns auf den Austausch mit dir!

 

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Wie du deine eigene Sommerparty nachhaltig gestaltest, erfährst du in diesem Beitrag,

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