LifeVERDE: Herr Hock, was glauben Sie, warum sind trotz niedrigem Ölpreis fossile Subventionen weltweit drei Mal so hoch wie Subventionen für die Erneuerbaren Energien? Vor diesem Hintergrund können internationale Klimaschutzziele doch nicht ernst genommen werden?
KAI HOCK (Vorstand): In den von Ihnen angesprochenen Subventionen drückt sich das Machtverhältnis aus. Besonders erstaunlich ist das nicht, bedenkt man die Entstehungsgeschichte solcher Förderungen und die Tatsache, dass die fossil-atomaren Wirtschaftsstrukturen politisch etabliert und noch immer dominant sind. Internationale Verhandlungen über Klimaschutz sind generell ein schwieriges Terrain. Das gilt vor allem, solange der zentrale Logikfehler besteht, praktischen Klimaschutz und Ausbau Erneuerbarer Energien als „Verteilung von Lasten“ zu diskutieren. Effektiver Klimaschutz wäre heute schon einfacher, wenn es Kostentransparenz und gleich hohe oder gar keine Subventionen für alle Erzeugungsformen gäbe. Erneuerbare setzen sich heute schon im direkten Vergleich gegen fossile und atomare Energien durch.
Ist der Abbau von Subventionen bei den Erneuerbaren Energien ein Zeichen für den Erfolg, bspw. in der Solarbranche?
Die Erneuerbaren Energien haben im Vergleich zu fossilen Energieerzeugern bisher extrem wenig Subventionen erhalten. Das EEG beispielsweise ist keine Subvention, sonst wäre es auch europarechtlich nicht haltbar gewesen. Stattdessen hat es als Weiterentwicklung des Einspeisegesetzes schlicht einen regulierten Marktzugang für die Erneuerbaren geschaffen, damit die etablierten Akteure mit ihren fossilen Kraftwerken die Erneuerbaren nicht länger vom Markt aussperren konnten.
Echte Erfolge der Erneuerbaren sind dramatisch gesunkene Produktionskosten. Wir haben hier eine Entwicklung in Gang gesetzt, deren Ende zurzeit kaum absehbar ist. Solarenergie ist schon heute vielfach die günstigste Energieform und die Kosten sinken weiter, ganz im Gegensatz zu konventioneller Energieversorgung, die uns alle teuer zu stehen kommt.
Was halten Sie von den Vertretern der Erneuerbaren, die nach Berlin fahren, um gegen das EEG 2016 zu demonstrieren? Gerechtfertigt?
Schon allein der neue Name des EEG ist verräterisch: Am Anfang hieß es noch „Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien“, hatte 13 Paragraphen und war sechs Seiten lang. Demgegenüber wurde im Sommer 2016 im deutschen Bundestag das „Gesetz zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Energien“ beschlossen, es hat über 100 Paragraphen und benötigt hunderte Seiten Hilfstexte, um überhaupt verstanden werden zu können. Das ist für mich auf jeden Fall kein bürgernahes, leicht verständliches EEG.
Unabhängig von der Form ist der Inhalt nicht viel besser. Das EEG 2017 – so der offizielle Titel – hat bis auf den Titel nicht mehr viel gemeinsam mit dem Ursprungsgedanken des EEG, es ist ausgehöhlt worden. Deswegen kann ich jeden verstehen und ermutigen, der sich für ein Recht einsetzt, das uns wirklich hilft, praktischen Klimaschutz und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung mit Hilfe von 100% Erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Das EEG 2017 verfolgt dieses Ziel ganz sicher nicht.
Gibt es andere Förderinstrumente, die sinnvoller und effektiver sind, um den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben als die langfristig betriebene Subventionspolitik?
Wie ich bereits angedeutet habe, geht es schlicht um faire Bedingungen auf Augenhöhe, was den Marktzugang bis hin zum Endverbraucher angeht. Aus meiner Sicht könnten wir sämtliche Subventionen im Energiesektor sofort streichen und darauf achten, dass jede Art der Energiegewinnung die Kosten trägt, die durch sie verursacht werden. Bei so einer ehrlichen Rechnung würden sich die Erneuerbaren Energien insbesondere im Stromsektor so rasend schnell durchsetzen, wie es sich nur wenige vorstellen können. Das will aber bisher fast kein Politiker und ganz sicher kein Unternehmen der alten Energiewirtschaft. Mein Vorschlag zur Güte: Lassen Sie uns Subventionen für jede Art der Energiegewinnung auf einem einheitlich fairen Level angleichen und zwar auf einem möglichst geringen Niveau.
Befinden wir uns derzeit im Soll was den Ausbau in Deutschland betrifft und wo sehen Sie möglicherweise die größten Fehlentwicklungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien?
Nein, die Regierung widerspricht sich selbst. Wenn man den von der Regierung beschlossenen Ausbaupfad Erneuerbarer Energien mit dem beschlossenen Klimaschutzprogramm vergleicht, muss man feststellen, dass offenbar kein stimmiger Plan verfolgt wird.
Zusätzlich müssen wir darüber sprechen, dass die vorgeschlagenen Klimaschutzpläne unzureichend sind. Zum einen werden sie dem Problem der bereits gestarteten Klimadestabilisierung nicht gerecht. Zum anderen werden die wirtschaftlichen Chancen, die sich für unser Technologieland und unseren Mittelstand mittel- und langfristig auf diesem wichtigen globalen Markt ergeben, unterschätzt.
Bedenkt man die typischen Verzögerungen bei Großprojekten, dann wäre nur ein ambitioniertes Ziel wie 100% Erneuerbare bis 2030, unterfüttert mit entsprechend starken Maßnahmen, eine angemessene politische Reaktion auf die Energie-, Klima- und Wirtschaftsherausforderungen, die uns absehbar ins Haus stehen.
Welches sind Ihrer Meinung nach die 3 größten Herausforderungen der Energiewende, die es für Deutschland noch zu meistern gilt?
Es sind genau genommen drei Aspekte, die sich alle um die großen Herausforderungen der Energiewende drehen. Der Umbau der Energieversorgung auf 100% Erneuerbare Quellen bedeutet einen Strukturwandel von zentralen Versorgungsstrukturen mit starren Großkraftwerken hin zu flexiblen und bedarfsgerechten, kleineren Erzeugern, die bürgernah und dezentral organisiert sind.
Die drei Aspekte sind die Motoren der Energiewende, die Sektorkopplung und die Regionalität an sich.
1) Die bisherigen Treiber der Energiewende in Deutschland sind Bürgerinnen und Bürger und innovative mittelständische Firmen. Jetzt baut der Energieminister die Gesetze so um, dass ausgerechnet Monopolisten das Heft des Handelns in die Hand bekommen sollen. Das würgt Dynamik und Innovation ab, dieser Irrtum muss schnellstens erkannt und rückgängig gemacht werden.
2) Die Verzahnung der Energiesektoren Elektrizität, Mobilität, Wärme und gewerbliche Prozessenergien ist essentiell. Sie ermöglicht uns den Austausch der Primärenergieträger. Aber wir müssen verstehen, dass die Sektorkopplung nur verbrauchsnah wirklich effizient funktionieren kann, was für eine starke Dezentralität der Erzeugung spricht.
3) Erneuerbare stehen überall in der Fläche und nicht nur am Bohrloch, Tagebau oder Großkraftwerk zur Verfügung. Das Energiesystem der Zukunft wird eines der kurzen Wege sein, bedarfsgerecht und bürgernah. Um das effektiv organisieren zu können, brauchen wir leistungsfähige regionale Strukturen.
Was können wir eventuell von anderen Ländern lernen und übertragen?
Ganz praktisch und direkt: Ausschreibungen bei Erneuerbaren Energien abschaffen. Deutschland hat seit 2000 erfolgreich ein System von kostendeckenden Einspeisevergütungen etabliert, das aufgrund seiner hervorragenden kostensenkenden Wirkungen weltweit in mehr als 80 Ländern kopiert wurde. Andere Länder, unter anderem die Niederlande und England, haben in der Zwischenzeit auf alternative Instrumente gesetzt, zum Beispiel auf Ausschreibungen. Die Erfahrung dieser Länder zeigt: Ausschreibungen verzögern den Ausbau, Ausbauziele werden nicht erreicht und kostensenkende Effekte bleiben hinter den Erwartungen zurück. Gleichzeitig wird die in Deutschland geschätzte Vielfalt der Akteure – Stichwort „Bürgerenergie“ – durch Ausschreibungen massiv behindert. Mit den letzten zwei Reformen 2014 und 2016 hat das Energie- und Wirtschaftsministerium diese Ausschreibungen eingeführt. Hier sollten wir klüger sein, anstatt aus bitteren Erfahrungen lernen zu müssen, die andere bereits gemacht haben.
Welche Akteure sind Ihrer Meinung nach am wichtigsten, um die breite und schnelle Verwendung von Erneuerbaren Energien in Deutschland zu gewährleisten?
Sehr gut geeignet für diese immens wichtige Aufgabe sind Energiegenossenschaften, also lokale Bürgerzusammenschlüsse von Bürgerinnen und Bürgern. Sie setzen direkt vor Ort Erneuerbare-Energie-Projekte mit Bürgerbeteiligung um und sorgen für eine „Energiewende von unten“. Als Teil der Bürgerwerke, einem Zusammenschluss von 63 lokalen Energiegemeinschaften und über 12.000 Menschen, können Energiegenossenschaften auch Haushalte vor Ort direkt mit erneuerbarem Strom beliefern. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann so seine Energieversorgung selbst in die Hand nehmen und muss sich nicht auf die Politik oder die alte Energiewirtschaft verlassen. Wenn wir es schaffen, dass sich mehr Menschen dieser Bürgerenergie-Bewegung anschließen, dann sind wir auf dem Weg zu einer erneuerbaren, regionalen und unabhängigen Energieversorgung in Bürgerhand schon ein großes Stück weiter.
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