Gesellschaft

Von Pfoten und Händen, Flügeln und Klauen – Sandy P. Peng über Speziesismus

GASTBEITRAG I Warum behandeln wir Tiere aufgrund ihrer Art unterschiedlich und was sagt das über uns Menschen aus? Sandy P. Peng über Speziesismus und eine gerechtere Welt.

GASTBEITRAG I Warum behandeln wir Tiere aufgrund ihrer Art unterschiedlich und was sagt das über uns Menschen aus? Sandy P. Peng über Speziesismus und eine gerechtere Welt.

29.04.2021 I Ein Gastbeitrag von Sandy P. Peng I Bilder: Tigerlily Photography, Sandy P. Peng, Chantal Kaufmann

Sandy P. Peng: Während ich diese Zeilen schreibe, sitzt Kater Murphy neben mir auf dem Schreibtisch. Wenn ich in sein Gesicht sehe und er meinen Blick erwidert, dann merke ich, dass da jemand ist. Murphy hat Stimmungen, er ist mal gut und mal schlecht aufgelegt – er hat Gefühle. Er liebt es, gestreichelt zu werden und sitzt gerne in der Sonne. Manche Menschen würden nun sagen, dass Tiere keine Gefühle haben, oder, dass wir Menschen sie zumindest niemals ergründen könnten. Wie könne ich denn sicher sein, was ein Kater fühlt? Doch müssten wir diese Frage, wenn wir sie ernst nehmen, nicht auch in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen stellen? Wie kann ich sicher sein, was mein menschliches Gegenüber fühlt?

Nun, ich kann nachfragen – immerhin haben wir Menschen untereinander den Vorteil, dass wir uns meistens auf die eine oder andere Art sprachlich verständigen können. Aber haben andere Tiere etwa keine Sprache? Kater Murphy benutzt vielleicht keine deutschen Wörter, aber er kann durch Laute und durch seine Körpersprache ziemlich genau mitteilen, was er fühlt, was er will oder nicht will.

Ein Ortswechsel. Ich stehe gemeinsam mit anderen Tierschützer:innen vor einem Schlachthof. Hier werden hunderte Schweine und Rinder getötet – jeden Tag. Ich höre die schrillen Schreie der Schweine durch die Schlachthofmauern. Sie werden gerade zur Tötung getrieben – sie riechen das Blut ihrer Artgenoss:innen. Wollen wir wirklich glauben, dass uns diese Schreie nichts sagen? Dass wir wirklich nichts verstehen?

Von Menschen und Tieren

Schon seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte versucht unsere Spezies, die Welt und unseren eigenen Platz darin zu erklären. Viele Male haben wir uns dabei gehörig geirrt – so glaubten wir lange, dass sich die Sonne um die Erde bewegt, oder dass Krankheiten und Unglück durch böse Geister ausgelöst werden. Der Mensch wollte sich in seinem Selbstverständnis von der restlichen Welt ablösen, sich differenzieren. Somit waren die Grundsteine für die tiefgreifende Trennung von „Mensch“ und „Tier“ gelegt. Der französische Philosoph René Descartes (1596 - 1650) postulierte, dass Tiere (also alle Tiere, außer dem Menschen) nicht mehr wären als biologische Maschinen. Sie hätten weder Bewusstsein, noch könnten sie Schmerz oder Freude empfinden. Ganz anders der Mensch – er sei qualitativ anders, ein völlig anderes Wesen.
Heute wird diese radikale und für die Tiere äußerst fatale Sicht kaum noch öffentlich vertreten. Doch hat die Trennung vom Menschen auf der einen Seite und allen anderen Tieren auf der anderen bis heute Auswirkungen. Nicht-menschliche Tiere werden bis heute in den meisten Gesellschaften und Rechtssystemen als Ressourcen gesehen, als Waren oder Rohstoffe, die für uns Menschen zur Verwendung und Nutzung bereitstehen. Nicht-menschliche Tiere können bis heute in keinem Gericht der Welt klagen, sie können weder ihr Recht auf Leben einfordern, noch an der Verteilung von Land oder Wasser teilhaben.

Nach wie vor stehen die Menschen auf der einen Seite. Und alle anderen Tiere stehen auf der anderen.

Zeit für einen Wandel

Die Wissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten umfassend bewiesen, dass unzählige Tierarten Schmerz empfinden können, sich selbst in Spiegeln erkennen („Spiegeltest“), Werkzeuge bauen und benutzen, komplexe Beziehungen mit Artgenoss:innen führen, Pläne entwickeln und umsetzen, ja sogar lügen können. Die Kluft zwischen dem, was der Mensch „für sich“ beansprucht und dem, was immer mehr andere Tiere nachweislich ebenfalls leisten können, schwindet immer weiter. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir uns ernsthaft der Frage stellen müssen, ob die Spezieszugehörigkeit – ob man also ein Homo Sapiens Sapiens (Mensch) oder eine andere Spezies ist – einen entscheidenden Unterschied in unserer moralischen Betrachtung anderer Lebewesen ausmachen sollte. Schon in den 1970ern wurde diese Frage diskutiert – im Zuge der Kritik an der Verwendung von Tieren in Experimenten entwickelte der britische Psychologe Richard D. Ryder den Begriff „Speziesismus“. Er beschreibt eine Weltsicht, in der die Spezies als entscheidendes Kriterium für den moralischen Wert eines Tieres gesehen wird. In der Regel bedeutet das: Menschen haben einen moralischen Wert, alle anderen Tiere nicht – weil sie eben keine Menschen sind. Dieser Speziesismus ist eine diskriminierende Perspektive und ist manchen anderen vorurteilsbehafteten Weltanschauungen nicht unähnlich.

Das Argument der Grenzfälle

Der Speziesismus, also die Andersbehandlung alleine auf Grundlage der Spezies, muss ein Argument finden, das die fortlaufende Trennung vom Menschen und allen anderen Tieren rechtfertigen kann. Das scheint nicht zu gelingen. Im Gegenteil: Philosoph:innen entwickelten das „Argument der menschlichen Grenzfälle“. Unter der Annahme, dass alle Menschen grundlegende moralische Rechte haben (umgangssprachlich auch Menschenrechte genannt), findet sich keine Eigenschaft, kein Kriterium, das alle Menschen eint, aber alle anderen Tiere ausschließt. Einige Beispiele

  • Sprache: Viele Menschen können verbal und non-verbal kommunizieren. Aber es gibt auch viele Menschen, die noch nicht, nicht mehr oder niemals mit anderen kommunizieren können. Gleichzeitig haben wir bereits gezeigt, dass viele nicht-menschliche Tiere sehr wohl untereinander und sogar speziesübergreifend (etwa mit uns Menschen) kommunizieren können.
     
  • Intelligenz: Die kognitiven Fähigkeiten einiger Menschen sind aufgrund von Krankheit, Verletzung, Alter oder anderen Faktoren deutlich eingeschränkt. Wissenschaftliche Studien belegen hingegen die kognitive Leistungsfähigkeit immer mehr Tierarten.

Wir müssen aus dem Argument der Grenzfälle schließen, dass es kein moralisch relevantes Kriterium gibt, das alle Menschen von allen anderen Tieren trennen kann. Lediglich die Spezieszugehörigkeit selbst verbleibt – doch sie hat keine moralische Relevanz. Wir müssen daraus schließen, dass wir grundlegende moralische Rechte, wie etwas das Recht auf Unversehrtheit oder das Recht auf Leben, nicht allen Menschen zugestehen (und dabei auch alle/die meisten nicht-menschlichen Tiere weiterhin ausgeschlossen bleiben) oder aber, dass wir zumindest manche dieser grundlegenden Rechte auch auf andere Tiere ausweiten müssen. 

Eine post-speziesistische Welt

Ich selbst möchte nicht in einer Welt leben, in der manche Menschen keine grundlegenden moralischen Rechte haben. Gleichzeitig möchte ich auch nicht weiterhin in einer Welt leben, in der Milliarden von Tieren für die menschliche Nutzung getötet werden. Auch sie haben ein Recht darauf, nicht von uns gefangen, verletzt oder getötet zu werden. Ich glaube an eine bessere Welt – an eine Welt ohne diskriminierenden Speziesismus. An eine gerechte Welt.


Der Weg dahin wird noch ein harter sein. Viele Systeme der Tierausbeutung sind tief in unserer Gesellschaft verankert und werden durch persönliche Gewohnheiten, Subventionssysteme und Lobbyismus geschützt. Gleichzeitig müssen wir auch herausfinden und erarbeiten, wie eine post-speziesistische Welt den anderen Tieren gerecht werden kann. Wie werden wir in Zukunft natürliche Ressourcen verteilen? Wie wird sich die politische Repräsentation verändern? Wie werden wir unsere Gesellschaft umbauen, damit auch nicht-menschliche Tiere darin einen ebenbürtigen Platz finden können?

Ich weiß auf viele dieser Fragen noch keine Antwort. Aber ich weiß, dass es das richtige ist, für die Rechte der Tiere zu kämpfen!

 

Sandy P. Peng

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Facebook, Instagram: Sandy P. Peng

 

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Lies auch: Sandy P. Peng: "Das Aufdecken von Lügen und Ungerechtigkeiten darf nicht bestraft werden"

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