Gesellschaft

Smart und sustainable – Wie könnte die Stadt der Zukunft aussehen?

INTERVIEW | Immer mehr Menschen leben in Städten – doch wie können diese zukunftsfähig werden? Erfahre hier, wie smarte und sustainable cities aussehen könnten.

INTERVIEW | Immer mehr Menschen leben in Städten – doch wie können diese zukunftsfähig werden? Erfahre hier, wie smarte und sustainable cities aussehen könnten.

12.11.2021 | Ein Interview geführt von Deborah Iber | Bild: Robert Bye, Unsplash

 

Anne-Sophie Christmann ist Expertin für Digitalisierung in der Bioökonomie. Sie arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Digitales Management der Universität Hohenheim. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen dort in den Bereichen Smart Farming, Smart Cities und Smart Sustainability.

Bioökonomie, d. h. eine nachhaltige, biobasierte Wirtschaftsweise, ist Leitthema der Universität Hohenheim. Zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierte die Hochschule in diesem Jahr das Bioökonomie-Camp 2021. Die Forschungs-Convention ist Teil des Wissenschaftsjahres 2020/21, das dem Thema Bioökonomie gewidmet ist.

 

LifeVERDE: Anne-Sophie, du setzt dich als Wirtschaftswissenschaftlerin mit Smart Cities und Smart Sustainability auseinander. Gib unseren Leser*innen einen kurzen Einblick in dein Forschungsgebiet und wie du dazu kamst.

Anne-Sophie: Am Lehrstuhl Digitales Management der Universität Hohenheim beschäftigen wir uns unter anderem mit dem Forschungsbereich der Smart Sustainability. Hierbei untersuchen wir, welche Rolle Informations- und Kommunikationssysteme bei der Schaffung einer ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Gesellschaft spielen. Konkrete und dringliche Fragestellungen beschäftigen sich beispielsweise mit der Rolle von Nachhaltigkeit in Kundenentscheidungen (Digital Nudging), in unternehmerischen Geschäftsmodellen (Sustainable Business Models, Circular Enconomy), im Energiemanagement oder in Bezug auf den verantwortungsvollen Umgang mit der Gesundheit von Bürger*innen (Smart Cities, Smart Districts, Smart Towns). Mit einem Studienhintergrund in Weinbau und Önologie beschäftigt mich persönlich auch das Thema Smart Farming. Dabei interessiere ich mich besonders für die Fragestellung, wie digitale Technologien dazu beitragen können, die Land- und Ernährungswirtschaft ökologisch nachhaltiger zu machen. 


Anne-Sophie Christmann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Hohenheim, Fachgebiet Digitales Management (Bild: Samuel Groesch).

Wie definierst du die Stadt der Zukunft und welche Eigenschaften sollte sie erfüllen, um umweltverträglich zu funktionieren?

Weil ein Großteil der CO2-Emissionen in Städten produziert wird, ist das Streben nach Smart and Sustainable Cities eines der expliziten Ziele der so genannten Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Auf städtischer Strategie-Ebene werden deshalb schon heute für die Bereiche Wirtschaft, Gesellschaft, Verwaltung, Mobilität, Umwelt, Energie und Wohnen zukunftsweisende Lösungen angewendet. Aktuelle Smart City Solutions fokussieren aber primär CO2-Einsparungen mittels digitaler Technologien.

Wesentlich langfristiger, nachhaltiger, resilienter und gesünder für die Städte und Bürger*innen wären von der Natur inspirierte Lösungsansätze – sogenannte „Nature-Based Solutions“. Solche lokal angepassten und von der Natur inspirierten Lösungen können immer vielfältigere Natur und natürliche Merkmale in Landschaften und Städte bringen und dort das Wohlbefinden der Menschen steigern. Bisher wurden digitale Technologien und Nature-Based Solutions nicht synergetisch gedacht, dabei bieten digital-unterstützte Nature-Based Solutions meines Erachtens das größte Potenzial, Ökosysteme in der Stadt der Zukunft zu kreieren.

Eine Möglichkeit für mehr Nachhaltigkeit in Städten sind in diesem Zuge automatisierte Anbausysteme für Gemüse, Obst und Kräuter, die auf Hausdächern und -fassaden integriert werden. Wie funktionieren diese und welche Vorteile bieten sie für die Stadt?

Da mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung schon heute in Städten lebt, stößt die derzeitige Lebensmittelproduktion an ihre Kapazitäts- und Nachhaltigkeitsgrenzen. Um die zukünftigen Stadtbewohner*innen zu ernähren, ist die urbane Landwirtschaft von einem Thema am Rande des öffentlichen Diskurses in dessen Zentrum gerückt.

Am erfolgversprechendsten sind so genannte Vertical Farms. Dabei werden Flächen für die Lebensmittelproduktion genutzt, die in Städten nicht oder nur zu geringen Opportunitätskosten führen, so z. B. Dächer, Balkone, Innenhöfe oder eben Hauswände. Die Pflanzen wachsen oft in Nährstofflösungen, so genannten Hydrokulturen. Gleichzeitig werden in automatisierten Anbausystem sämtliche Umweltfaktoren, wie Sonneneinstrahlung, Nährstoff- und Wasserzufuhr, mittels Sensorik getrackt und intelligent gesteuert. Das System bietet potenzielle Vorteile, darunter die Verringerung des Energiebedarfs durch kürzere Lieferketten, die Reduzierung von Abfällen und Logistikkosten sowie die Verbesserung der Ernährungssicherheit. Eine verstärkte Nutzung der städtischen Landwirtschaft kann sogar den Druck auf die natürliche Umwelt verringern, indem sie die Belastung durch die landwirtschaftliche Produktion reduziert und so Raum schafft, damit sich die Umwelt von den entstandenen Schäden erholen kann.

Wieso ist die Integration von Technologien so wichtig bei der Gestaltung zukunftsfähiger und nachhaltiger Städte?

Städteplaner*innen, Architekt*innen und Politiker*innen geht es bei der Gestaltung zukunftsfähiger und nachhaltiger Städte vor allem um die Verbesserung des Wohlbefindens der Bewohner*innen. Durch digitale Technologien werden Städte nicht nur schneller, effizienter und ressourcenschonender, sondern auch lebenswerter. Die erhobenen Daten werden zunehmend in Projekten mit nachhaltigen und intelligenten Quartieren aufbereitet und genutzt, um die Bedürfnisse der Bewohner*innen einer Stadt besonders zu berücksichtigen. So entstehen grüne und sektorübergreifende Informationssysteme, welche Verhaltensänderungen im Sinne der Nachhaltigkeit durch die Nutzung von smarten Dienstleistungen herbeiführen können.

Ein plakatives Beispiel für den Zusatznutzen von digitalen Technologien in Smart Cities sind Quartiers-Apps: Über Quartiers-Apps können sich Menschen nicht nur untereinander vernetzen, sondern beispielsweise auch Informationen über Veranstaltungen und Sehenswürdigkeiten in der Nähe abrufen, Tipps zum aktuell größten Komforterlebnis in der Stadt screenen, auf Tauschbörsen neue Gegenstände erwerben, den Wocheneinkauf abwickeln oder ihre Vertical-Farming-Versuche steuern. Auch das Thema Energie, Infrastruktur und Mobilität ist schon heute gut in Apps integriert. So können Quartiers-Apps Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Stadt vorhersagen, wo als nächstes der Müllcontainer voll wird, welche Pflanze dringend bewässert werden muss und wo gerade ein Mangel an Parkplätzen oder E-Ladestationen herrscht. Auch die Integration von Car-Sharing-Angeboten oder Smart-Home-Geräten ist möglich.

Der Zugang zu Informationen und Tipps dient den Bewohner*innen als Anlaufstelle für Fragen und Anregungen rund um eine nachhaltige Lebensweise. Die Visualisierung von wohnungsbezogenen Energieverbräuchen wie Strom, Wasser und Wärme schafft gleichzeitig Transparenz beim Umgang mit Energie und Ressourcen. Darüber hinaus können tagesaktuelle Handlungsempfehlungen dazu beitragen, die Bewohner*innnen zu motivieren, ihr eigenes Verhalten beim Umgang mit knappen Ressourcen und Energie zu reflektieren.

Wie weit ist Deutschland aktuell in diesem Bereich und gibt es ein konkretes „Vorzeigebeispiel“?

Einen kleinen Vorgeschmack darauf, was in deutschen Städten in zehn bis zwanzig Jahren ein fester Bestandteil des Stadtbildes sein könnte, gibt die in Mexico entstehende „intelligente Waldstadt“. Sie soll einmal bis zu 116.000 Tonnen CO2 jährlich absorbieren können. Digitale Technologien spielen dabei ein zentrales Element: In die Bausubstanz integrierte Sensoren werden genutzt, um Auskunft über das Wachstum, den Wasserbedarf und Schädlingsbefall der Pflanzen in Parks, Gärten und begrünten Fassaden und Dächern geben zu können. Mit Hilfe von Biosensoren tragen sie beispielsweise zur Reinigung der Luft bei. Roboter werden eingesetzt, um Precision Farming im urbanen Bereich zu ermöglichen. Andererseits unterstützen digitale Technologien die Bürger*innen auch im direkten Alltag. So werden Daten erhoben, die z.B. Werte zu Energieflüssen liefern, um den Nutzer*innen sinnvolle Vorschläge zum Energieverbrauch zu geben, wenn Spitzenproduktion ansteht. Daraus ergibt sich ein günstigerer Preis zur Unterstützung des Energiemanagements. Bürger*innen werden zudem via App Daten empfangen, die potenziell stress-reduzierende Komfort-Erlebnisse innerhalb bestimmter Bereiche der Stadt anzeigen.

Auch in deutschen Städten sind solche Entwicklungen sehr spannend, weil hier die Auswirkungen des Klimawandels in Zukunft besonders deutlich zu spüren sein werden. In einigen Städten werden derzeit „Grüne Zimmer“ aufgestellt, also vertikale Begrünungen mit Baumdach für mehr Aufenthaltsqualität und kühlere Temperaturen an heißen Tagen. Um solche Systeme noch effizienter und klimaschonender zu machen, bietet sich der Einsatz intelligenter Bewässerungssysteme an. Diese lassen sich per App einstellen, nutzen die Daten von Bodensensoren, werten den lokalen Wetterbericht aus und dosieren präzise das zuvor in Zisternen gesammelte Regenwasser.

Welche Hindernisse gibt es bei der Umstellung hin zu Smart Cities und was sind eventuelle Risiken?

In der Stadtentwicklung hängt der Erfolg innovativer und zukunftsweisender Projekte größtenteils von der Verwaltung und der Politik ab. Smart Cities basieren auf interdisziplinärem Denken und Kooperation, was häufig in den administrativen und politischen Abteilungen noch nicht angekommen ist. Darüber hinaus wird in vielen Kommunen nicht erkannt, wie wichtig die Entwicklung hin zu intelligenten Städten ist, weswegen die Umstrukturierungen unzureichend finanziert werden.

 

Vielen Dank für das Interview, liebe Anne-Sophie!

Dir schwebt nun auch noch eine Frage im Kopf herum, die du gerne an Anne-Sophie oder an das BioökonomieCamp stellen möchtest?

Dann schreib sie in die Kommentare - wir freuen uns auf den Austausch mit dir!

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