Gesellschaft

Schächtung: Gottesfurcht oder Tierquälerei?

Schächtung ist eine religiöse Tradition, die jährlich im Islam und im Judentum durchgeführt wird. Ist das Abschlachten von Tieren gottesehrfürchtig oder Tierquälerei?

Schächtung ist eine religiöse Tradition, die jährlich im Islam und im Judentum durchgeführt wird. Ist das Abschlachten von Tieren gottesehrfürchtig oder Tierquälerei?

19.05.2021 | Ein Beitrag von Maleen Focken | Bilder: Unsplash, SOKO Tierschutz

Tiere zu schlachten ist kein seltenes Unterfangen, weder in Deutschland noch in anderen Ländern. In den Religionen Islam und Judentum werden (betäubungslose) Schlachtungen im Rahmen eines Feiertages jährlich durchgeführt. Wie und warum eine Schächtung in beiden Religionen ausgeführt wird, wie die Rechtsgrundlage in Deutschland ist und wie sich der SOKO Tierschutz dieser Praxis gegenüberstellt, erfährst du in diesem Beitrag.

Schächtung: Was ist das?

Schächtung ist die rituelle und in seiner ursprünglichen Form betäubungslose Schlachtung von Tieren im Islam und Judentum. Das islamische Opferfest Kurban Bayrami, das am Tag nach der rituellen Schlachtung beginnt, findet wieder vom 19. bis zum 23. Juli 2021 statt. Im Judentum wird dieser alljährliche Ritus am Vortag des jüdischen Versöhnungsfests Jom Kippur, das in diesem Jahr am 16. September gefeiert wird, praktiziert. Früher wurden die Tiere traditionsgemäß (und der fehlenden Möglichkeiten wegen) nicht betäubt, heutzutage sind sich die Gläubigen bezüglich des Verzichts auf Betäubung uneinig.

Tieropferung im Islam und im Judentum

Mit der rituellen Schächtung gedenken Muslime, die Angehörigen des Islams, jährlich die Aufopferungsbereitschaft, das bedingungslose Gottesvertrauen und die Selbstlosigkeit Abrahams, der dem Befehl Allahs willentlich gehorchte, seinen eigenen Sohn zu opfern. Allah (im Christentum: Gott) ließ unmittelbar vor der Opferung des Sohnes Gnade walten und schickte ein Tier, das Abraham als Ersatz opferte und unter der Familie, Freunden und Bedürftigten teilte. Die islamische Tieropferung hat laut Koran keine Sündenfunktion, vielmehr wiederholen Muslime das Opfer, das Abraham erbracht hat, in Gedenken an sein grenzenloses Vertrauen zu Allah. Am Opferfest ist es islamischen Familien dem Ritus nach vorgeschrieben, ein Tier zu schächten und das Fleisch unter der Familie, Verwandten, der Nachbarschaft und Bedürftigten aufzuteilen. Üblicherweise durchtrennen Fachleute ausgewachsenen und gesunden Schafen, Ziegen, Kühen oder Kamelen mit einem makellosen, scharfen Messer Halsschlagader, Luftröhre und Speiseröhre, damit die Tiere vollständig ausbluten können. Im Islam gilt Blut wie andere Flüssigkeiten, die der Körper aussondert (z.B. Eiter, Urin), als unrein und darf nicht bewusst geschluckt werden. Die Tiere liegen während der Zeremonie mit ihrem Kopf Richtung Mekka, haben die Augen verbunden und werden nicht betäubt. Hat sich die rituelle Schächtung an diesen Richtlinien orientiert, gilt das Tierfleisch als halal bzw. ist für den Verzehr der Muslime zugelassen. Halal-zertifiziertes Fleisch ist aber nicht gleichbedeutend mit Fleisch aus betäubungslosen Schlachtungen. Die Gläubigen sind sich dessen Bedeutung und Kriterien uneinig.

Koran

Im Judentum wird die Schächtung von einigen Gläubigen im Rahmen des Versöhnungstages Jom Kippur praktiziert. Dieses Versöhnungsfest ist das höchste, jüdische Fest, steht im Zeichen der absoluten Ruhe, Buße und Versöhnung mit Jahwe (im Christentum: Gott) und seinen Mitmenschen. Zwar schreibt auch die Thora dieses jährliche Tieropfer nicht explizit vor, doch besonders ultraorthodoxe Juden schächten einen weißen, unversehrten Hahn bzw. eine weiße, unversehrte Henne als Symbol der Sühne (Schechita). Bevor dem Huhn mit einem scharfen Messer (Halef) die Halsarterien, Luft- und Speiseröhre von einem Gelehrten durchtrennt werden, wird das Tier dreimal über dem Kopf eines anderen Juden geschwenkt (Kapparot) und gesegnet. Das Huhn muss vollständig ausgeblutet sein, damit es als koscher gilt bzw. erlaubt ist. Denn auch im Judentum darf kein Blut bewusst geschluckt werden, da dies als Symbol der Lebenskraft gilt und der Konsum von vergossenem Tierblut bedeuten würde, dass das Leben des Tieres aufgenommen wird.

Schächten in Deutschland verboten

In § 4a des Tierschutzgesetzes steht, dass „(1) Ein warmblütiges Tier […] nur geschlachtet werden [darf], wenn es vor Beginn des Blutentzugs zum Zweck des Schlachtens betäubt worden ist.“ Beim Schächten werden die Tiere nach altem Brauch nicht betäubt, sodass dies als betäubungslose Schlachtung gilt und deutschlandweit verboten und strafbar ist. Eine Betäubung, die jedoch nicht immer reibungslos verläuft, soll den Tieren die Schmerzen nehmen, die sie ansonsten bei vollem Bewusstsein während des Tötungsprozesses spürten. Denn der Grundsatz des Tierschutzgesetzes lautet: „§ 1 Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“

Ausnahmegenehmigungen für Ausnahmefälle

Allerdings räumt das Gesetz in § 4a auch Ausnahmefälle ein: „(2) Abweichend von Absatz 1 bedarf es keiner Betäubung, wenn 1. sie bei Notschlachtungen nach den gegebenen Umständen nicht möglich ist, 2. die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen oder 3. dies als Ausnahme durch Rechtsverordnung nach § 4b Nr. 3 bestimmt ist.“ Denn im Art. 4, Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes ist wiederum Folgendes verankert: „(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Den Widerspruch zwischen freier Religionsausübung und dem Tierschutzgesetz sollen Ausnahmegenehmigungen für rituelle Schächtungen bzw. betäubungslose Schlachtungen abdanken. Primäre Voraussetzung für eine solche Ausnahmegenehmigung ist es, dass das betäubungslose Schlachten für die Einhaltung der religiösen Riten oder Speisevorschriften notwendig ist. Das zuständige Veterinäramt beurteilt darüber, ob dem deutschen Schlachtbetrieb oder dem muslimischen Metzger eine solche Ausnahmegenehmigung erteilt wird. Im Jahr 2018 hat ein niedersächsischer Schlachtbetrieb mit einer entsprechenden Genehmigung mindestens 100 Tiere betäubungslos geschlachtet.

Schaf

SOKO Tierschutz: „Töten ist immer ein gewaltvoller Akt“

Die rituelle, meist betäubungslose Schächtung sowie auch die Schlachtung im Allgemeinen ist besonders bei Tierschutzverbänden umstritten. Wir haben den gemeinnützigen Verein für Tierrechte SOKO Tierschutz zu seiner Einstellung und Mission bezüglich der rituell durchgeführten Schächtung, aber auch zur Schlachtung im Allgemeinen befragt. Vorstandsmitglied Friedrich Mülln hat uns Rede und Antwort gestanden.

LifeVERDE: Wie lautet ihr Statement zur Schächtung, also der rituellen Schlachtung von Tieren im Judentum und im Islam?

Friedrich Mülln: Wer mit Verstand und etwas Empathie auf das Thema Schlachtung blickt, muss sich letztlich eingestehen: Es ist brutale Gewalt gegen Tiere, die um ihr Leben kämpfen und diesen Kampf immer verlieren. Wenn man nun bewerten will, welche Tötungsart als schmerzhafter oder schlimmer eingestuft werden sollte, also z.B. rituelles Schlachten oder konventionelles Schlachten, dann hat man die Qual der Wahl: Bei vollem Bewusstsein zu verbluten, während man kopfüber aufgehängt ist, ist wahrscheinlich ein Tötungsprozess, der mit sehr viel Panik, Angst und Schmerz verbunden ist. Nehmen wir aber beispielsweise eine sehr beliebte, konventionelle Betäubungsart wie das Vergasen von Schweinen: Da bedeutet es mit anderen Leidensgenossen in CO2 betäubt zu werden. Hier fühlen die betroffenen Tiere Erstickungsangst und Schmerzen. Die Schweine schreien und versuchen sich nach oben zu drängen, um nach Luft zu schnappen – vergeblich. Auch hier ist die Schlachtung folglich mit großer Panik und Angst verbunden. Letztlich ist es naiv zu glauben, es gäbe eine schöne Art, einem fühlenden Lebewesen das Leben zu nehmen. Es gibt keine humane Schlachtung genauso wenig wie es eine humane Form der Folter oder Züchtigung gibt. Töten ist immer ein gewaltvoller Akt.

Wie stehen Sie zu Ausnahmegenehmigungen für betäubungslose Schlachtungen, die aufgrund der im Grundgesetz verankerten, freien Religionsausübung erteilt werden können?

Fühlende Lebewesen haben ein Recht auf ihr Leben und Unversehrtheit. Deshalb bin ich grundsätzlich gegen Gewalt und das Töten von Tieren aus nichtigen Gründen, wie z.B. Lust auf ein Steak.

Inwiefern bereiten Sie illegalen Schlachtungen ein Ende bzw. was ist Ihre Mission?

Wir zeigen der Öffentlichkeit, was hinter den Fassaden passiert – das ist teilweise legale und teilweise illegale Gewalt. Wir spezialisieren uns aber nicht nur auf Illegales, weil es auch erlaubtes Tierleid gibt, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen als Gesellschaft. Insgesamt ist in dem Bereich aber sehr viel Dynamik: Was vor ein paar Jahren noch normaler Alltag in der Tierausbeutung war, ist heute illegal und wird auch juristisch geahndet, wie z.B. das Schwanzverbiegen bei Rindern, um sie zu treiben. Das kostet heute eine ordentliche Summe, wenn man erwischt wird. Auch Diskussionen über das Kükenschreddern oder Ferkelkastrieren zeigen, wie verschwommen die Grenzen zwischen Legalem und Illegalem werden. Wenn die Gesellschaft mit diesen Themen konfrontiert wird und sie bespricht, dann kommt man letztlich zu dem Schluss, dass diese Formen der Gewalt eigentlich verboten gehören. Die Mission ist deshalb, dass wir uns gesellschaftlich ehrlich damit auseinandersetzen, wie wir mit Tieren zusammenleben möchten. Solche Entwicklungen können schneller gehen, als man denkt. Meine Großmutter durfte ohne Erlaubnis ihres Mannes nicht arbeiten und hatte kein Bankkonto. Zwei Generationen später kann man sich das schon nicht mehr vorstellen.  Ich bin überzeugt, dass wir uns in 30 Jahren der jüngeren Generation erklären müssen, wie wir dieses Ausmaß und Leid der industriellen Tierausbeutung zulassen konnten. Meine Mission ist, dass nächste Generationen über uns den Kopf schütteln werden. Diese Gesellschaft muss einen gerechten und gewaltfreien Umgang mit Tieren finden, wenn wir unseren Vorstellungen von Moral gerecht werden wollen.

Von welchen Praxisfällen müssen Sie uns berichten, wo Sie illegale Schächtungen aufgespürt haben und wie werden diese letztlich vom Staat verfolgt?

Der Schlachthof Selm ist der erste Betrieb, bei dem wir Schächtungen aufgedeckt haben. Das bedeutet aber keineswegs, dass in konventionellen Schlachtbetrieben Tiere immer betäubt geschlachtet werden. Die Betäubungsgeräte sind oft in schlechtem Zustand, haben Fehlfunktionen oder Mitarbeiter verwenden sie schlichtweg falsch. Deshalb muss man genau genommen sagen, dass man Tiere mit starken Hinweisen darauf, dass sie bei Bewusstsein ihre Schlachtung miterlebt haben, in allen der 10 Schlachthöfe, die wir bisher aufgedeckt haben, vorfindet.

Wir haben gegen den Schlachthof Selm Strafanzeige gestellt. Bisher wurden in Deutschland zahlreiche Fälle von illegalen, betäubungslosen Schlachten juristisch aufgearbeitet und führten zu Verurteilungen. Die Strafen bewegten sich zwischen 500 und 20.000 €. Wir gehen davon aus, dass es im Fall Selm zu harten Strafen aufgrund des eindeutigen, harten Beweismaterials kommt.

Die Angst steht dem Rind im Gesicht geschrieben.

Wie können wir alle Ihre Arbeit unterstützen?

Unser Ziel ist es, Tieren zu helfen, ihnen eine Stimme zu geben und für ihre Rechte einzutreten. Erika und Max können sich gerne mit uns für Tiere einsetzen. Tiere schützen und ihnen zu helfen bedeutet vor allem erstmal, sie nicht aufzuessen. Selbst das ist skurrilerweise noch keine Selbstverständlichkeit, aber jemanden schützen zu wollen und gleichzeitig töten zu lassen ist ein Widerspruch. Deshalb ist der Anfang, Tiere vom Speiseplan zu streichen. Weiterhin kann man sich politisch für Tiere einsetzen: Man kann auf Demonstrationen gehen, Leserbriefe schreiben, Politiker:innen anschreiben, Tierrechtsorganisationen unterstützen, mit anderen Menschen diskutieren und dabei für die Tiere und ihre Rechte einstehen.

Vielen Dank für den Einblick in Ihre Arbeit und Mission, Herr Mülln.

Schlachtungen umstritten

Im Islam und Judentum werden jährlich „zur Feier des Tages“ Tiere meist betäubungslos geschlachtet. In Deutschland ist eine solche Schächtung nur in Ausnahmefällen erlaubt, grundsätzlich illegal und strafbar. Tierschutzverbände argumentieren unter anderem, das den Tieren höllische Schmerzen und Todesqualen zugesetzt werden, sie in Panik und Angstzuständen hingerichtet werden. Organisationen und Verbände wie dem SOKO Tierschutz oder PETA e.V. propagieren unter anderem eine vegane Ernährungsweise, um dem Leid der Tiere ein Ende zu setzen.

Vegetarismus und Veganismus als Alternative

Wir können an dieser Stelle niemanden die vegetarische und vegane Ernährungsweise aufzwingen, ganz besonders nicht gläubigen Menschen, denen ihre Religion eine solche Ernährung strikt untersagt. Aber wir können dazu anregen, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, langjährige Praxen und Riten zu überdenken und den Konsum tierischer Produkte herunterzufahren.

 

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Lass die Kuh in Ruh: Ideen und Ansätze für gute Alternativen des Milchkonsums

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