Gesellschaft

"An Ausbeutung u. Kinderarbeit denken wir beim Einkauf einer Jeans nur zu selten"

Fair zieht an ist ein offenes, privates und nichtkommerzielles Projekt junger Menschen, die sich für ethisch korrekte Mode interessieren und Licht in das Dunkel der Bio- und Fair-Zertifikate für Textilien bringen wollen.

Fair zieht an ist ein offenes, privates und nichtkommerzielles Projekt junger Menschen, die sich für ethisch korrekte Mode interessieren und Licht in das Dunkel der Bio- und Fair-Zertifikate für Textilien bringen wollen.

Ein Interview mit dem Team von "Fair zieht an"

Frau Schwind, Sie betreiben die Webseite „fair-zieht-an.de“, ein im Rahmen von „Synagieren – Initiative für gemeinsames Handeln“ entstandenes Projekt. Welche Ziele verfolgen Sie mit der Seite?

Wir als Konsumenten wissen meistens wenig über die Produkte, die wir am Körper tragen. Die Herstellung einer Jeans zum Beispiel ist eine sehr komplexe Angelegenheit, denn bevor wir sie im Laden kaufen, hat sie meistens schon über 50.000 km zurückgelegt: Zwischen dem Anbau der Baumwolle in Kasachstan bis hin zum Einnähen des Etiketts in Deutschland liegen viele Stationen, die man oft nicht bedenkt. Obwohl die Jeans durch viele Hände wandert, bekommen die Arbeiter letzten Endes nur ein Prozent des Preises, den wir im Laden bezahlen. An Ausbeutung und Kinderarbeit denken wir beim Einkauf nur zu selten. Die neue Hose in der Hand haltend, vergisst man auch oft, wie hoch der Pestizideinsatz bei Baumwollanbau und Färbung sein kann. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich verschiedene Initiativen gegründet, die den Herstellungsprozess von Kleidung zertifizieren. Dies kann auf Basis von sozialen oder ökologischen Kriterien geschehen. Auf unserer Seite möchten wir folgende Fragen beantworten: Wer steht hinter den Initiativen? Was bedeuten ihre Zertifikate? Was sind die jeweiligen Kriterien für die Vergabe? Wer kontrolliert ihre Einhaltung?

Unser Anliegen ist es, einen ersten Überblick über einige Zertifikate zu geben, wobei wir uns auf eine beschreibende Darstellung konzentrieren. Die Informationen zu den von uns ausgearbeiteten Kriterien finden sich alle in den Standarddokumenten der Siegelinitiativen. Neben einer langen Shopliste haben wir außerdem noch eine Rubrik „Aktuelles“, auf der wir unsere Besucher regelmäßig mit den neuesten Artikeln zum Thema versorgen. Fair zieht an will ein wenig Licht in den Zertifikatedschungel bringen und interessierten Konsumenten dabei helfen, gezielt ökologische und fair gehandelte Kleidung zu finden.

Ist organische Mode cool oder nur was für Öko-Fundis?

Cool ist wer neue Trends setzt und ökologisch hergestellte Mode wird sogar von vermeintlichen Trendsettern wie H&M in Sonderauflagen vermarktet. Aber viele kleinere kreative Labels wissen das schon lange und bieten eigene Kollektionen an, mit einem eigenen Stil abseits des H&M Mainstreams, der sich einfach auch auf der Haut gut anfühlt! Wo früher eher das ökologische Material (der Öko-Fundi-Wollpulli) im Vordergrund stand, kommen jetzt auch Designer dazu und machen Öko schick!

Hat Öko-Mode das Potenzial, den Mainstream zu erreichen?

Das Potenzial sicherlich, aber bis Öko-Mode den Mainstream erreicht, wird sicherlich noch viel pestizidbelastestes Wasser im Boden versickern. Ökomode muss bekannter werden und die Nachfrage muss steigen. Wenn mehr Leute anfangen, fair gehandelte Produkte zu verlangen und unfaire eben nicht mehr zu kaufen, dann sollte sich automatisch das Angebot an fairer Kleidung erhöhen. Auch größere Ketten würden also fair gehandelte Kleidung ins Sortiment nehmen, wodurch dann die Popularität dieser weiter steigen würde. Letztlich müssten auch die Preise sinken und damit eine Kaufbarriere, die zumindest für einige Personen durchaus eine Rolle spielt, wegfallen. Da es unwahrscheinlich ist, dass große Modeketten auf einmal ihr grünes Herz entdecken, muss der Konsument eben selbst sein grünes Herz oder Hirn entdecken. Am besten wäre eine große Fair-Kampagne: Fürsprecher, Aktionen, Informationen, Reaktionen. Ideal wären prominente Leute als Fürsprecher, die fair wear bekannter machen und Informationen über die Problematik konventioneller Kleidung verbreiten. Für Unternehmen, die bei der Produktion von Kleidung menschen- oder umweltschädigende Praktiken benutzen, muss es Anreizmechanismen geben, dies zu ändern. Ein einheitliches europäisches Gütesiegel für Kleidung, analog zum Biosiegel für Lebensmittel, wäre hier ein erster Schritt. Bevor von Mainstream die Rede sein kann werden mit Sicherheit noch 20 oder 30 Jahre vergehen. Aber jedes verkaufte fair gehandelte Kleidungsstück macht einen Unterschied!

Warum ist Öko-Mode immer noch ein Nischenprodukt? Sind die Menschen nicht bereit für Werte wie Nachhaltigkeit, fairer Handel und Schutz vor Kinderarbeit einen Aufpreis zu bezahlen?

Wir gehen schon davon aus, dass viele Verbraucher bereit wären, etwas mehr Geld auszugeben. Allerdings ist es mit Kleidung nicht so einfach wie mit Schokolade, wo die fair gehandelte Tafel im Regal direkt neben der herkömmlichen steht und meistens sowieso viel besser schmeckt. Wer sich bewusst kleiden will, muss sich informieren und das kostet Zeit. Das große Kaufhaus, in dem es immer alle Größen gibt und T-Shirts immer gleich in mehreren Farbtönen ausliegen, ist also immer noch verlockend. „Korrekte“ Kleidung ist heute noch ein Nischenprodukt, weil sie einerseits immer noch mit Vorurteilen behaftet ist und andererseits noch nicht so in unsere Konsumabläufe eingebaut sind, wie es z.B. mit Bio-Lebensmitteln der Fall ist. Um die Branche aus dieser Nische hervorzuholen, müssen wir die Konsumenten von zwei Dingen überzeugen: Zertifizierte Kleidung ist nicht nur besser für die Umwelt, besser für die Menschen und um einiges kreativer als der Massenlook, sondern auch Angebot ist riesig! Allen Zweiflern empfehlen wir einen Blick auf unsere Shopliste http://www.fair-zieht-an.de/faire-shops/

Der Dioxin-Skandal hat den Bio-Lebensmitteln eine erhöhte Nachfrage beschert. Dennoch ist Öko immer noch nicht sexy. Viele Produkte der konventionellen Bekleidungsindustrie hingegen sind in den Augen der meisten Verbraucher sexy. Muss Öko überhaupt sexy sein und was macht die Öko-Branche eventuell noch grundlegendes falsch?

Der Behauptung, dass Öko nicht sexy sei, stimmen wir ganz und gar nicht zu! Wer sich auch nur ein bisschen mit fair hergestellter Mode beschäftigt hat, weiß, dass solche Klamotten mindestens genauso sexy und wenn nicht sogar um einiges kreativer sind. Wer bei Herstellung und Design von Kleidung Weitsicht beweist, ist automatisch vorne mit dabei und dem Träger eines 4,99 H&MShirts um einiges voraus. Und wer schon einmal faire Mode gekauft hat, dem ist sicher nicht nur einmal ein erstauntes "Echt jetzt, das ist öko??!" entgegnet worden. Dass die Ökobranche Dinge grundlegend falsch macht, ist auch nicht richtig. Ein kurzer Blick auf die Shopliste unserer Seite beweist das Gegenteil. Dort findet man zahlreiche kreative Initiativen alter und junger Menschen, die fairen Handel und ökologische Produktion großschreiben und alle Altersgruppen ansprechen. Auch sonst setzen sich viele unter ihnen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit ein, indem sie zum Beispiel in ihren Läden Ökostrom benutzen oder einen Teil des Gewinns an ehrenamtliche Einrichtungen weitergeben. Das Problem besteht darin, dass Ökomode in den Köpfen der Verbraucher immer noch als "Kartoffelsackmode" abgespeichert wird. Das wollen wir mit unserer Initiative ändern und bieten daher eine Plattform, auf der die Suche nach schicken ökologisch und fair gehandelten Klamotten vereinfacht wird.

Engagieren Sie sich außerhalb der „Grünen Mode“ für den Umweltschutz?

Ja, jeder versucht seinen kleinen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Wir konsumieren sehr bewusst! Wir versuchen regional und saisonal einzukaufen, damit werden lange Transportwege vermieden und Anbieter aus der Region gestärkt werden. Wenn es das Studentenbudget zulässt, kaufen wir biologische und fair gehandelte Produkte. Außerdem achten wir beim Einkaufen von Lebensmitteln z.B. darauf, dass die Waren nicht in zu viel Plastik verpackt sind- Manchmal hat man das Gefühl, nur Verpackung zu gekauft zu haben, die die Umwelt sehr belastet. Außerdem benutzen wir Stofftaschen oder greifen wieder nach dem guten alten Einkaufskorb oder dem Fahrradkörbchen, denn das Fahrrad ist stets mit von der Partie. Geht bei uns etwas kaputt, wird es nicht gleich weggeschmissen, sondern repariert! Gefällt uns ein Gegenstand oder ein Kleidungsstück nicht mehr, wird dieser/s umgearbeitet, verschenkt oder auf dem Flohmarkt verkauft. So hat vielleicht eine andere Person noch Freude daran. Selbst stöbern wir natürlich auch gerne auf Flohmärkten und in Second-Hand Läden herum. Denn selbst wenn eco fair wear schon ein großer Schritt in die richtige Richtung ist, recyceln ist immer noch besser! Wir machen außerdem Menschen im nahen Umfeld z.B. unsere Mitbewohner, darauf aufmerksam, Wäsche nicht zu oft heißer als 40° Celsius zu waschen, die Spartaste zu drücken, nicht unnötig das Licht brennen oder elektronische Geräte auf Standby laufen zu lassen.

Wie sieht für Sie ein erfolgreiches Umwelthauptstadtjahr aus?

Wir sehen im Hamburger Umwelthauptstadtjahr eine große Chance, das Bewusstsein für ökologische Problematiken zu fördern und neue Ideen zu schaffen. Wir finden es wichtig, dass in dem Jahr alle Alters- und Bevölkerungsgruppen in Aktionen und Veranstaltungen einbezogen werden. Außerdem sollte ein intensiver Austausch aller Beteiligten zu neuen Initiativen und Netzwerken führen, die den Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft voranbringen. Unserer Meinung nach darf dieser Weg nicht an den Grenzen Hamburgs haltmachen, sondern im Anschluss an das Jahr überregional fortgeführt werden.



Kommentare
Jürgen
29.12.2015
Danke für den informativen Artikel.
Meiner Meinung nach sollte man aber auch nach dem Kauf auf umweltfreundliche Produkte zurückgreifen.
Ich zum Beispiel habe ein Imprägniermittel entdeckt, welches ohne Fluorverbindungen oder andere giftige Hilfsstoffe auskommt.
Da ich mit meinen Kindern in einem Wanderverein bin, muss ich einfach darauf achten. daher konnte ich auch die anderen Mitglieder von Impregno Imprägnierungen überzeugen und wir wandern jetzt mit einem etwas besseren Gewissen durch die Natur.
Also... Einfach mitmachen und was Gutes tun.
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