UMWELTHAUPTSTADT.de: Herr Professor Heinrichs, an der Leuphana Universität in Lüneburg gibt es den Bachelor-Studiengang "Umweltwissenschaften", der ebenso in Ihren Lehr- und Verantwortungsbereich fällt. Was sind die Kernpunkte dieses Studienganges und für welche Berufe und Branchen werden Ihre Studenten ausgebildet?
PROF. HARALD HEINRICHS: Die Kernpunkte des Studiengangs sind eine inter- und transdisziplinäre Ausrichtung mit der Möglichkeit zur fachlichen Schwerpunktbildung sowie die Einbettung von Umweltwissenschaften in den Kontext der nachhaltigen Entwicklung. Wir haben an unserer Fakultät 25 Professorinnen und Professoren, die eine große Bandbreite unterschiedlicher Disziplinen abdeckt. D.h. im Studiengang reicht das Themenspektrum von Ökologie über Chemie und Geowissenschaften bis hin zur Politik, Recht, Management Ökonomie und weiteren Fächern. Neben disziplinären Grundlagen werden spezifische inter- und transdisziplinäre Module angeboten. Begleitet werden diese Lehrformen durch ein Komplementärstudium in dem Studierenden über den Tellerrand der Umweltwissenschaften hinaus schauen können. Im 4. Und 5. Semester haben die Studierenden auch die Möglichkeit fachliche Schwerpunkte zu setzten, beispielsweise in Ökologie oder in Management, Ökonomie und Recht. Wir sehen, dass viele Studierende nach dem Bachelor in Masterstudiengänge im In- und Ausland wechseln oder sich für unseren Masterstudiengang „Sustainability Science“ entscheiden. Nichtsdestotrotz ist der Studiengang (auch) drauf ausgerichtet für den Berufseinstieg zu qualifizieren. Neben Unternehmen (Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement) sind weitere Berufsfelder öffentliche Einrichtungen – beispielsweise im Bereich erneuerbare Energien oder Klimaschutz -, Nicht-Regierungsorganisationen oder umweltbezogene Beratungsunternehmen.
Gibt es an Ihrer Hochschule weitere Spezialisierungsmöglichkeiten, die auf diesem Studiengang aufbauen?
Wir haben ein forschungsorientiertes Masterprogramm in Sustainability Science. Hier wird der Fokus erweitert auf Nachhaltigkeitswissenschaften. Dabei stehen u.a. stärker internationale Perspektiven im Vordergrund. Neben der Möglichkeit aus einem breiten natur- und sozialwissenschaftlichen Angebot zu wählen und Schwerpunkte zu setzen, wird forschungsorientiert gearbeitet und grundlegende Fähigkeiten zu Projektmanagement, Methoden und Kommunikation vermittelt.
Sie sind Professor für Nachhaltigkeit und Politik am Institut für öffentliche Nachhaltigkeitssteuerung und am Institut für Umweltkommunikation der Universität Lüneburg. Was ist der Reiz an dieser Professur für Sie?
Eine nachhaltige Entwicklung voranzubringen ist einer der großen Herausforderungen unserer Zeit. In allen Gesellschaftsbereichen sind dafür große Anstrengungen notwendig. Daher ist Nachhaltigkeit auch ein gesellschaftspolitisches Thema par excellence. Als Soziologe finde ich es u.a. spannend zu untersuchen, wie Nachhaltigkeit zwischen politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vorangetrieben, blockiert, gestaltet wird. Zudem reizen mich über die Forschung hinausgehend auch anwendungsorientierte Projekte und gesellschaftlichen Debatten.
Sie haben circa ein Jahr lang für die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG gearbeitet und durch diese Tätigkeit sicherlich auch ein Gespür für das Thema Nachhaltigkeit auf Unternehmensebene bekommen. Wie groß ist der Abstand zwischen der aktuellen Lehre an Universitäten wie der Leuphana und dem Handeln von Unternehmen unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten?
In vielen Unternehmen gibt es – angetrieben von motivierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – ernsthaftes Bemühen, sich den jeweiligen unternehmensspezifischen Nachhaltigkeitsherausforderungen zu stellen. Es wird immer offensichtlicher, dass es nicht mehr nur ganz langfristig, sondern auch mittel- und teilweise kurzfristig, fahrlässig ist, das Thema zu ignorieren. Die wenig proaktive Haltung einiger Akteure der Energiebranche zeigt dies. Klar ist aber auch, dass es nicht einfach ist, wünschenswerte Nachhaltigkeitsansätze mit einer längeren Perspektive unter volatilen Wirtschaftsbedingungen und hohem Marktdruck umzusetzen. Es muss kontinuierlich darum gerungen werden. Für die Lehre ist wichtig, neben der theoretischen, konzeptionellen und methodischen Expertise und „idealen“ Lösungsansätzen, die sich am grünen Tisch entwerfen lassen, auch zu sensibilisieren für die soziale und sachliche Komplexität und Kontextualität. Es geht über umwelt- und nachhaltigkeitswissenschaftliches Fachwissen hinaus um die Vermittlung von Fähigkeiten, in der unübersichtlichen Realität handlungsfähig zu werden.
Wie groß schätzen Sie den Wettbewerbsvorteil nachhaltiger Unternehmen gegenüber konventionellen Unternehmen beim Corporate Image eines Unternehmens ein?
Studien wie das Corporate Sustainability Barometer des Center for Sustainability Management an unserer Fakultät, aber viele andere Umfragen und Analyse auch, wie beispielsweise auch zum nachhaltigen Investment, zeigen, dass inzwischen die „Kür“ der Nachhaltigkeit zur Pflicht geworden ist. Wenn auch sicherlich nicht alle Kunden oder Mitarbeiter im gleichen Maße auf die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens achten, so sind die Erwartungen an verantwortliche, nachhaltige Unternehmensführung doch insgesamt gestiegen. Ich glaube es ist nicht zufällig so, dass die Unternehmen, die in Nachhaltigkeitsrankings regelmäßig gut abschneiden auch erfolgreiche Unternehmen sind. Die Nachhaltigkeitsleistung wird aus meiner Sicht immer mehr zum Proxy für gute Unternehmensführung an sich.
Welche Themen sollte ein nachhaltiges Unternehmensleitbild beinhalten?
Das hängt vom Unternehmen und der Branche ab. Jedes Unternehmen muss prüfen, wo die eigenen Nachhaltigkeitsdefizite am größten sind, aber auch, wo man mit dem bestehenden Geschäftsmodell - oder einem neu justierten Geschäftsmodell – Problemlösungen anbieten kann, um nachhaltige Entwicklung zu befördern. Der eigene negative und mögliche positive Beitrag zu den großen Nachhaltigkeitsthemen – Klimawandel, Biodiversität, Wasserverschmutzung, Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen, soziale Ungleichheit, Gesundheit etc. ist systematisch zu eruieren.
Wer beeinflusst Ihrer Meinung nach den Wandel hin zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Gesellschaft mehr – die Konsumenten mit Ihrem Nachfrageverhalten oder die Unternehmen?
Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Hohes Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewusstsein – wie wir es in Deutschland haben – wird sich nur realisieren können, wenn nachhaltige Angebote an Gütern und Dienstleistungen von Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Auf der anderen Seite können Unternehmen, die innovative, nachhaltige Produkte anbieten zur Treibern nachhaltiger Entwicklung werden. Ein ganz entscheidender Treiber ist auch meiner Sicht aber auch die Politik. Ohne klare und auch verbindliche Rahmenbedingungen stoßen Aktivitäten von Konsumenten und Unternehmen an Grenzen. Es geht nicht nur darum, das „Spiel“ zwischen Konsumenten und Unternehmen anzupassen – das Spielfeld muss verschoben werden. Das geht nicht ohne ambitionierte Nachhaltigkeitspolitik.
Müsste in Deutschland ein engerer Rahmen für nachhaltiges Handeln vorgegeben werden sowohl für die Unternehms- als auch die Verbraucherseite?
Absolut. Einiges ist in den vergangenen vierzig Jahren Umweltpolitik schon geschehen. Das darf man nicht klein reden. Beispielsweise haben wir eine verbesserte Luft- und Wasserqualität, ein abgemildertes Waldsterben oder eine gestiegene Energieeffizienz. Und im internationalen Vergleich kann ist die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik nicht schlecht. Aber gerade die Erfolge der vergangenen vierzig Jahre, die entgegen aller Unkenrufe aus der Wirtschaft nicht zum ökonomischen Weltuntergang geführt haben, sondern – im Gegenteil – in vielen Bereichen Innovationen ausgelöst haben, die sich auch auf den Weltmärkten auszahlen, sollten doch dazu motivieren, angesichts der fundamentalen Nachhaltigkeitsherausforderungen wieder angemessene, smarte und verbindliche Maßnahmen zu finden, die zu neuen technischen und sozialen Innovationen führen.
Welches sind Ihrer Einschätzung nach die 3 größten Umweltprobleme in Städten und wie kann man diesen begegnen?
Dies lässt sich aus meiner Sicht nicht pauschal beantworten, sondern hängt von konkreten sozioökonomischen und naturräumlichen Bedingungen der Städte ab. Tropische Küstenstädte müssen beispielsweise andere Strategien zur Klimaanpassung entwerfen als Städte im Inland in gemäßigten Breiten. Das Thema Wasser ist in (semi-)ariden Gebieten eine andere Herausforderung als in Hamburg. Und soziale Aspekte nachhaltiger Entwicklung wie soziale Sicherheit sind in ungeplant wuchernden Megastädten in Entwicklungs- und Schwellenländern anders zu bewerten als in München.
Was tun Sie persönlich, um Ressourcen zu schonen und den grünen Wandel mitzugestalten?
Ich bin sicherlich kein Öko-Heiliger oder Nachhaltigkeitsperfektionist – alleine schon wegen dienstlichen und private Fliegens. Ich versuche aber Schritt für Schritt nachhaltiger zu konsumieren, d.h. die jeweils sozial- und umweltverträglicher Konsummöglichkeit zu realisieren. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten ist es heutzutage auch nicht mehr so schwierig. Man muss nicht Asket oder Konsumverweigerer sein. Konkret: Mietwohnung im energiesanierten Altbau in der Stadt mit kurzen Wegen; kein Auto, ÖPNV, Car- und BikeSharing; Tausch- und Leihplattformen, insbesondere für Kinderspielzeug und –kleidung; Bio-Lebensmittel, fair trade und Teilzeit-Vegetarier u.a.m. Schwierig finde ich den Bereich Kleidung und Schuhe – hier bietet die Modebranche noch zu wenig nachhaltige Angebote für einen „Normalkonsumenten“ wie mich. Ich würde mir wünschen, dass die Modeketten, die vielen anderen Bereichen in Sachen Nachhaltigkeit hinterherhinkt, in den nächsten Jahren mehr machen würde. Ich glaube, ich bin nicht der Einzige, der bereit wäre, ein paar Euro mehr für einen nachhaltig produzierten Pullover auszugeben.